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Kaffee - Konfliktbearbeitung auf jordanisch

Lokale Wege der Konflikttransformation

In dieser Blogserie untersuchen wir lokale Praktiken der Konfliktlösung in Jordanien. Dabei kann es sich um traditionelle, aber auch um neue unkonventionelle Initiativen handeln. Wir beginnen mit einer sehr alten Beduinenpraxis. Jana Abdo spricht über die besondere Rolle des Kaffees für die Tradition der Stammeskonfliktlösung.
three cups with coffee
© Helena Speidel

Es ist bemerkenswert, wie einem das Leben in Jordanien eine Mischung widersprüchlicher Gefühle vermitteln kann. Das Land zeichnet ein schönes Bild des sozialen Multikulturalismus und der Moderne, während es gleichzeitig seine beduinischen Wurzeln pflegt und (zugegebenermaßen manchmal diskriminierende) Stammestraditionen aufrechterhält.

Ein Spaziergang durch die Straßen Jordaniens stimuliert Ihre Geruchs- und Geschmacksknospen mit dem Aroma des kardamomgewürzten Arabica. Kaffee wird hier sehr ernst genommen und gilt als eine der unausgesprochenen Sprachen der Jordanier*innen. Die Art und Weise, wie eine Tasse Kaffee eingeschenkt und wie sie entgegen genommen wird kann viel darüber verraten, wie sich Menschen fühlen. Sie kann sogar sogar einen Heiratsantrag beantworten, einen Streit beenden oder jemanden ohne Worte beleidigen. Wenn eine Person beispielsweise eine Bitte vorzubringen hat, geht sie auf die andere Partei zu, und wenn ihr Kaffee serviert wird, stellt sie ihre Tasse vor sich hin, als Zeichen dafür, dass sie den Gastgeber um etwas bitten möchte. Andererseits kann es als schwere Beleidigung angesehen werden, wenn Sie Ihrem Gast mit der linken Hand eine Tasse Kaffee servieren.

Das Ritual der Zubereitung und des Servierens von Kaffee begann, als die Vorfahren der jordanischen Beduinen in der Wüste lebten.  In dieser rauen Umgebung waren freundschaftliche Beziehungen zum Überleben notwendig,  so entstand das Konzept, keinen Gast abzuweisen. Damals – und noch heute – diente Kaffee als Symbol der Gastfreundschaft. Traditionell kochten die Beduinen den Arabica und fügten während der Zubereitung Gewürze hinzu, sodass vorbeiziehende Gäste das Aroma rochen und wussten, dass sie willkommen waren.

Wenn Gäste eintreffen, werden ihnen in der Regel drei Tassen Kaffee angeboten: Al Heif (für die Ankunft des Gastes), Al Seif (bedeutet wörtlich übersetzt das Schwert und feiert die Tapferkeit der Beduinenmänner) und Al Keif (für gute Laune). Wenn Sie keine weitere Tasse serviert bekommen möchten, schütteln Sie die Tasse unbedingt. Auf diese Weise überbringen Sie die Botschaft, dass Sie mit der Menge des Kaffees, die Sie getrunken haben, zufrieden sind. So war und ist Kaffee ein Mittel der Kommunikation und der Bindung mit anderen.

© Helena Speidel

Aber hat  die Sprache des Kaffees das Potenzial, uns bei der Arbeit zur Friedenskonsolidierung und Konfliktlösung zu helfen? Möglicherweise, wenn wir ihre Anwendung und Kultur richtig verstehen.

Trotz ihrer Gastfreundschaft und Großzügigkeit hat das Leben in der rauen Wüste die Beduinen dazu gezwungen, ständig im Überlebensmodus zu sein. So führen Konflikte oft zu Gewalt und können sogar lebensbedrohlich sein. Die starke Verbundenheit zwischen den Angehörigen eines Stammes und ihre große Abhängigkeit voneinander haben zu einer extremen Form des Kollektivismus geführt. Wenn ein Stammesmitglied angegriffen wird, fühlt sich automatisch der ganze Stamm angegriffen. Unter Berücksichtigung dieses Systems etablierte das Stammesrecht einen effektiven Weg zur Lösung von Stammeskonflikten und zur Verhinderung von Repressalien: die Prozesse Atwa (Waffenstillstand) und Sulha (Versöhnung). In diesen Prozessen wird ein Dritter aus jedem Stamm ausgewählt, um den Dialog zur Wiederherstellung der Ordnung zwischen den Streitparteien zu führen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Versöhnung und Vergebung statt Vergeltung. So halfen Atwa und Sulha dabei, die Konflikte in dauerhafte Stammesbeziehungen und respektvolle menschliche Interaktionen umzuwandeln.

Zur Unterscheidung zwischen den beiden Prozessen: Atwa ist der Prozess, einen Waffenstillstand zu schaffen, um jeden gewalttätigen Akt zwischen zwei konkurrierenden Stämmen zu vermeiden. Sulha hingegen ist der Prozess der Akzeptanz des Waffenstillstands und der Rehabilitierung der Beziehungen zwischen den Konfliktparteien. Er wird in der Regel durchgeführt, wenn die Stammesführer (Sheikhs) ihre Hände schütteln und zusammen eine Tasse Arabica trinken.

 

Beduinische Konfliktbearbeitung: Atwa und Sulha

Die Zugehörigkeit zu einem jordanischen Stamm bedeutet, sich um gesellschaftliche Akzeptanz zu bemühen und das eigene soziale Image zu pflegen. Die Stammesmitglieder haben eine Reihe gemeinsamer kultureller Werte, die sich vorwiegend um Respekt und Stolz drehen und ihre Emotionen und Handlungen lenken. Wenn es zu einem Konflikt zwischen zwei Angehörigen verschiedener Stämme kommt, befürchtet die Familie des Schuldigen, dass ihr Ruf beeinträchtigt werden könnte, was bedeutet, dass sie den Respekt des anderen Stammes verliert. Es setzt sie unter einen immensen Druck, da der Konflikt eine Feindschaft mit der Gegenseite aufbauen und gewalttätige Aktionen zur Vergeltung auslösen könnte.

Gleich nach dem Konflikt fordert die Familie des Schuldigen eine Delegation vertrauenswürdiger Menschen – die mit beiden Konfliktparteien in guter Beziehung sind – auf, ein Gespräch mit dem anderen Stamm zu vermitteln, um den Konflikt zu beenden und ihre Beziehungen zu versöhnen. Am Ende ihres Gesprächs bitten die Vermittler die betroffene Partei, einen Besuch des Schuldigen für eine „Stammes-Konfliktbeilegungszeremonie“ – die Sulha – zu akzeptieren.

Sobald sie einverstanden sind, sich zu treffen, stellen beide Familien ihre Scheichs – die ehrenhaftesten und vertrauenswürdigsten Personen ihrer Stämme – ab, um das Gespräch zu lenken, während die anderen Anwesenden den Verhandlungen respektvoll zuhören.

Wenn die Gäste ankommen, serviert der Gastgeber den beiden Scheichs Al Heif – die erste Tasse Kaffee. Der Scheich aus dem Stamm des Schuldigen trinkt seinen Kaffee nicht direkt, sondern stellt ihn auf den Tisch vor sich, um anzuzeigen, dass er ein Versöhnungsgesuch an den Gastgeber  richten möchte. Danach beginnt er eine blühende Rede in poetischer Beduinensprache als Zeichen des Respekts und der Großherzigkeit. Er betont zunächst, wie sehr sein Stamm die andere Partei respektiert und ehrt. Zum Schluss gibt er das Unrecht zu, das von  Seiten seines Stammes geschehen ist, und bittet um Vergebung, indem er eine Form der Wiedergutmachung anbietet. Erst wenn der Geschädigte den Antrag formell annimmt und dem Schuldigen vergibt, wird der Gast eingeladen, die erste Tasse, Al Heif, zusammen mit dem Gastgeber zu trinken.

Die Zeremonie ist um Kaffee herum aufgebaut, weil er ein wichtiger Bestandteil der Identität der Beduinen ist und ihre Gastfreundschaft und ihr Streben nach sinnvollen Beziehungen symbolisiert. Uns als Friedensfachkräften zeigt dies, wie ein so einfaches und bescheidenes Instrument, das in jedem Haushalt unabhängig vom  sozialen Status zur Verfügung steht, eine so starke Wirkung in Friedensbildungsprozessen haben kann. Das erinnert uns daran, dass es letztlich einer der wirksamsten Wege der Konflikttransformation ist, aufgeschlossen und gastfreundlich zu bleiben und der anderen Partei zuzuhören, um des Wohlergehens und der Vergebung aller willen. Bei unseren Dialogansätzen sollten wir uns an eines der wichtigsten Prinzipien des Beduinenvolkes erinnern: "Kein Gast wird abgewiesen".

Anmerkung:

Es gibt zwar viele positive Aspekte, die aus den Konfliktlösungsprozessen in den jordanischen Beduinenstämmen gelernt werden können, aber wir sind uns auch bewusst, dass sie selbst ausgrenzend sind, da z. B. die Teilnahme von Frauen verboten ist. Dies bedeutet insbesondere, dass die Vermittlung bei Ehescheidungen, Untreue oder ähnlichen Themen ohne die Anwesenheit der betroffenen Frauen stattfindet und somit eine weibliche Perspektive fehlt. Der Konfliktbeilegungsprozess, wie er auch heute praktiziert wird, verweigert den weiblichen Stammesmitgliedern einen angemessenen Zugang zur Justiz. Für weitere Informationen empfehlen wir einen Beitrag von Johnstone aus dem Jahr 2015. Dieser wurde vom wana-institut veröffentlicht (hier).

 

Geschrieben von Jana Abdo mit Unterstützung von Helena Speidel

 

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