Noch kein Kurswechsel, aber wichtige Erfolge

Friedenspolitische Einschätzung zum Koalitionsvertrag

Das forumZFD hatte zur Bundestagswahl und anlässlich der Koalitionsverhandlungen Forderungen an die künftige Bundesregierung aufgestellt. Nun liegt der Koalitionsvertrag 2021 – 2025 von SPD, Grünen und FDP vor.
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© forumZFD

Aus friedenspolitischer Sicht gibt es einige Erfolge zu feiern: die Einführung eines Rüstungsexportkontrollgesetzes und der Beobachterstatus beim Atomwaffenverbotsvertrag sind wichtige Erfolge langjähriger Kampagnen der Friedensbewegung. Für unser friedenspolitisches Engagement in Deutschland sind die geplanten Reformen des Gemeinnützigkeitsrechts und das geplante Demokratiefördergesetz wichtige Fortschritte.

Es gibt dennoch weiterhin viel zu tun: Die Aussagen zu ziviler Krisenprävention & Friedensförderung sind wenig konkret und trotz des Scheiterns des zwanzigjährigen Einsatzes in Afghanistan werden Militäreinsätze und weitere Aufrüstung nicht grundsätzlich infrage gestellt.

Wir haben den Koalitionsvertrag auf unsere friedenspolitischen Forderungen hin überprüft und stellen im Folgenden unsere Bewertung vor.

Nur eine Randnotiz? Wenig Neues zu Ziviler Krisenprävention und Friedensförderung

Unsere Forderung:
Die nächste Bundesregierung sollte die zivile Krisenprävention stärken und die entsprechenden Instrumente und Programme wie den Zivilen Friedensdienst deutlich und planvoll ausbauen.

Das steht dazu im Koalitionsvertrag:
„Die Leitlinien für Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und Friedensförderung sind eine gute Basis für Deutschlands Engagement zur Krisenverhütung und Friedensförderung. Wir wollen Deutschlands Rolle bei der Entschärfung internationaler Krisen weiter ausbauen, dazu die Zusammenarbeit über Ressortgrenzen hinweg verbessern. Wir wollen Planziele definieren, um verlässlich und schnell Personal sowie finanzielle Mittel für zivile Krisenprävention bereitstellen zu können.“ (S. 148)

Ganze fünf Zeilen ist der Ampelkoalition das Thema Zivile Krisenprävention & Friedensförderung wert. Die zentralen Instrumente und Programme wie der Zivile Friedensdienst werden gar nicht erst genannt. Damit ist der Stellenwert auf den ersten Blick geringer als in den beiden letzten Koalitionsverträgen der Großen Koalitionen, die sich klarer zum Ausbau des Zivilen Friedensdienstes und anderer Programme bekannt hatten. Es bleibt offen, ob mit den „Planzielen“ für zivile Krisenprävention dieser Bereich tatsächlich gestärkt wird. Dafür wird sich das forumZFD einsetzen.

An anderer Stelle bekennt sich die Koalition zur Zusage, mindestens (!) 0,7 % des Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungszusammenarbeit bereit zu stellen. Allerdings sollen die Mittel für humanitäre Hilfe, Entwicklung und Krisenprävention nur im gleichen Verhältnis steigen, wie die Militärausgaben. Einen ‚Vorrang für zivil‘ wird es mit der Ampelkoalition nicht geben.

Wer den gesamten Koalitionsvertrag durchsucht, entdeckt immerhin Bekenntnisse zu stärkeren „Förderung der Zivilgesellschaft in fragilen Kontexten“ und dem „Einsatz für Frieden, Freiheit, Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Nachhaltigkeit (…) als unverzichtbarer Teil einer erfolgreichen und glaubwürdigen Außenpolitik“. Doch insgesamt bleibt der Koalitionsvertrag beim Thema Friedensförderung in punkto konkrete Pläne und Zusagen hinter anderen Politikfeldern zurück.

Es wird nicht zuletzt auf die neuen Leitungen des Außen- und des Entwicklungsministeriums ankommen. Wenn Sie die Stärkung ziviler Krisenprävention und Friedensförderung zu ihren Anliegen machen, dann lässt ihnen dieser Koalitionsvertrag dafür einigen Spielraum. Das Außenministerium wird Annalena Baerbock übernehmen. Das Entwicklungsministerium geht an die SPD, eine Kandidatin für den Posten ist die Entwicklungspolitikerin und bisherige Beauftragte der Bundesregierung für humanitäre Hilfe und Menschenrechte Bärbel Kofler, eine langjährige politische Unterstützerin des Zivilen Friedensdienstes.

Weiter mehr fürs Militär?

Unsere Forderung:
Die nächste Bundesregierung sollte dafür eintreten, weltweit die Rüstungsetats um 10% zu senken, damit in allen Staaten mehr Mittel für Klimaschutz und die Bewältigung der Folgen der Corona-Pandemie zur Verfügung stehen und diese Vorgabe im Laufe der Legislaturperiode für die deutschen Verteidigungsausgaben erreichen.

Das steht dazu im Koalitionsvertrag:
„Wir wollen, dass Deutschland (…) langfristig drei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts in internationales Handeln investiert, so seine Diplomatie und seine Entwicklungspolitik stärkt und seine in der NATO eingegangenen Verpflichtungen erfüllt.“ „Die NATO-Fähigkeitsziele wollen wir in enger Abstimmung mit unseren Partnern erfüllen und entsprechend investieren.“ (S. 144-145) „Die Bundeswehr muss entsprechend ihres Auftrages und ihrer Aufgaben bestmöglich personell, materiell sowie finanziell verlässlich ausgestattet werden.“ (S. 148)

Damit bekennt sich die Koalition ein wenig verklausuliert zum sogenannten 2%-Ziel der NATO (2 % des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung). Zwei Wörter in dem oben genannten Zitat sind jedoch entscheidend: „wollen“ und „langfristig“. Sie deuten darauf hin, dass die Koalitionäre dieses Ziel nicht im Laufe der nächsten vier Jahre anstreben.

Eine weitere massive, schnelle Steigerung des Verteidigungshaushalts wie in den letzten vier Jahren ist damit nicht unausweichlich. Denn die Koalition bekannt sich auf Drängen der FDP zur Schuldenbremse und hat in anderen Politikfeldern, Stichwort Klima und Digitalisierung, große Investitionen geplant. Allerdings ist die vom forumZFD geforderte Senkung der Militärausgaben nicht zu erwarten.

Die Vermischung von Aufrüstungszielen mit ziviler Friedensförderung wie sie das 3-Prozent-Ziel für „internationales Handeln“ beinhaltet, lehnen wir ab.

Lernen aus dem Scheitern in Afghanistan

Unsere Forderung:
Die nächste Bundesregierung sollte eine umfassende und schonungslose Aufarbeitung des zwanzigjährigen Afghanistaneinsatzes durchführen und entsprechende Lehren für die Neuausrichtung deutschen Engagements in Krisen und Konflikten ziehen. Dazu sollte sie u.a. eine unabhängige Evaluierung des militärischen und zivilen Engagements beauftragen.

Das steht dazu im Koalitionsvertrag:
„Wir wollen die Evakuierungsmission des Afghanistan-Einsatzes in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss aufarbeiten. Zudem wollen wir den Gesamteinsatz in einer Enquete-Kommission mit wissenschaftlicher Expertise evaluieren. Die gewonnenen Erkenntnisse müssen praxisnah und zukunftsgerichtet aufbereitet werden, so dass sie in die Gestaltung zukünftiger deutscher Auslandseinsätze einfließen.“ (S. 150f)

Damit folgt der Koalitionsvertrag grundsätzlich einer Forderung des forumZFD. Allerdings stellt die Koalition Militäreinsätze nicht generell infrage, dabei würde auch das zu einer ehrlichen Aufarbeitung gehören. Die Evaluierungen sollten auch keine Fragen ausklammern und auch das zivile Engagement untersuchen.

Die politische Aufarbeitung muss mit entsprechender Aufmerksamkeit von der Zivilgesellschaft, den Medien und dem Deutschen Bundestag begleitet werden. Der Beirat der Bundesregierung für Krisenprävention und Friedensförderung hat dazu Empfehlungen formuliert, denen die neue Bundesregierung unbedingt folgen sollte. (https://beirat-zivile-krisenpraevention.org/publikation/stellungnahme-wirkungsevaluierung-afghanistan/).

Erfolg der Friedensbewegung: Rüstungsexportkontrollgesetz kommt

Unsere Forderung:
Die nächste Bundesregierung sollte ein restriktives Rüstungsexportkontrollgesetz auf den Weg bringen, das Lieferungen an Drittstaaten ausschließt und Exporte streng kontrolliert.

Das steht dazu im Koalitionsvertrag:
„Für eine restriktive Rüstungsexportpolitik brauchen wir verbindlichere Regeln und wollen daher mit unseren europäischen Partnern eine entsprechende EU-Rüstungsexportverordnung abstimmen. Wir setzen uns für ein nationales Rüstungsexportkontrollgesetz ein.“ (…) „Wir erteilen keine Exportgenehmigungen für Rüstungsgüter an Staaten, solange diese nachweislich unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind.“ (S. 146)

Es ist ein großer Erfolg der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel, zu der viele Mitgliedsorganisationen des forumZFD gehören, dass sich die künftige Regierung zu einem Rüstungsexportkontrollgesetz bekennt. Doch es wird auf den genauen Inhalt dieses Gesetzes ankommen. Wird es ein Verbot für deutsche Rüstungsexporte an menschenrechtsverletzende Staaten und an Länder, die in bewaffnete Konflikte verwickelt sind, enthalten und rechtlich verbindliche, eindeutige und strenge Kriterien für die Exportgenehmigungen festschreiben?

Ein Schritt voran beim Thema Atomwaffen

Unsere Forderung:
Die nächste Bundesregierung sollte den Beitritt Deutschlands zum Vertrag zur Ächtung von Atomwaffen vollziehen und den Beschluss des Deutschen Bundestages aus dem Jahr 2010 umsetzen, die in Deutschland stationierten Atomwaffen abzuziehen.

Das steht dazu im Koalitionsvertrag:
„Im Lichte der Ergebnisse der Überprüfungskonferenz des NVV und in enger Absprache mit unseren Alliierten werden wir als Beobachter (nicht als Mitglied) bei der Vertragsstaatenkonferenz des Atomwaffenverbotsvertrages die Intention des Vertrages konstruktiv begleiten. (...) Solange Kernwaffen im Strategischen Konzept der NATO eine Rolle spielen, hat Deutschland ein Interesse daran, an den strategischen Diskussionen und Planungsprozessen teilzuhaben.“ (S. 145) (…) „Wir werden zu Beginn der 20. Legislaturperiode ein Nachfolgesystem für das Kampfflugzeug Tornado beschaffen. Den Beschaffungs- und Zertifizierungsprozess mit Blick auf die nukleare Teilhabe Deutschlands werden wir sachlich und gewissenhaft begleiten."

Es ist ein großer Erfolg der ICAN-Kampagne, an der auch zahlreiche Mitgliedsorganisationen des forumZFD mitwirken, dass Deutschland als erster Staat der nuklearen bei der Vertragsstaatenkonferenz zum UN-Atomwaffenverbotsvertrag im März 2022 als Beobachter "die Intention des Vertrages konstruktiv begleiten" will.

Es ist jedoch zu erwarten, dass die neue Koalition zugleich neue atomwaffenfähige Kampfflugzeuge anschaffen wird, ein schneller Ausstieg aus der nuklearen Teilhabe oder ein Abzug der Atomwaffen aus Deutschland sind nicht zu erwarten.

Kommt mit dem Demokratiefördergesetz auch mehr Geld für Konfliktbearbeitung in Deutschland?

Unsere Forderung:
Ein Demokratiefördergesetz, das bewährte Ansätze, Konzepte und Instrumente nachhaltig stärkt und eine langfristige und unbürokratische Förderung ermöglicht.

Das steht dazu im Koalitionsvertrag:
„Zur verbindlichen und langfristig angelegten Stärkung der Zivilgesellschaft werden wir bis 2023 nach breiter Beteiligung ein Demokratiefördergesetz einbringen. Damit stärken wir die zivilgesellschaftliche Beratungs-, Präventions- und Ausstiegsarbeit sowie das Empowerment von Betroffenengruppen und werden sie vor Angriffen schützen. (…) Im Bundesprogramm „Demokratie leben!“ wollen wir die bestehenden Strukturen stärken und weiterentwickeln, vermehrt mehrjährige Zuwendungen ermöglichen und die Fördermodalitäten vereinfachen. Die Finanzierung sichern wir dauerhaft ab.“ (S. 117) „Wir fördern die vielfältige, tolerante und demokratische Zivilgesellschaft.“ (S. 116)

Zusammen mit zahlreichen Partnern hatte das forumZFD in einem „Aufruf für eine lebendige Demokratie“ einen breiten Forderungskatalog aufgestellt. Die zentrale Forderung, das Demokratiefördergesetz wurde von den künftigen Koalitionären übernommen. Die wesentliche Rolle der Zivilgesellschaft für gesellschaftliche Transformationsprozesse wird an vielen Stellen im Koalitionsvertrag benannt und als förderungswürdig angesehen. Ob damit insbesondere der vom forumZFD mit unseren Partnern entwickelte Ansatz der Kommunalen Konfliktbearbeitung endlich weitere Verbreitung und Förderung findet, ist noch nicht gesichert.

Rechtssicherheit für eine politisch aktive Zivilgesellschaft

Unsere Forderungen:
Die neue Bundesregierung muss klarstellen, dass die Beteiligung an der politischen Willensbildung unschädlich für die Gemeinnützigkeit von Organisationen ist und die Liste gemeinnütziger Zwecke u.a. um Einsatz für Menschenrechte und Frieden ergänzen.

Das steht dazu im Koalitionsvertrag:
“Wir modernisieren das Gemeinnützigkeitsrecht, um der entstandenen Unsicherheit nach der Gemeinnützigkeitsrechtsprechung des Bundesfinanzhofes entgegenzuwirken und konkretisieren und ergänzen gegebenenfalls hierzu auch die einzelnen Gemeinnützigkeitszwecke.“ (S. 117) “Wir wollen gesetzlich klarstellen, dass sich eine gemeinnützige Organisation innerhalb ihrer steuerbegünstigten Zwecke politisch betätigen kann sowie auch gelegentlich darüber hinaus zu tagespolitischen Themen Stellung nehmen kann, ohne ihre Gemeinnützigkeit zu gefährden.“ (S. 165)

Der Koalitionsvertrag greift unsere drei wichtigsten Forderungen zur Förderung der gemeinnützigen Zivilgesellschaft auf, wie wir sie seit Jahren als Mitglied der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ vertreten. Die Vorhaben bieten die Chance für mehr Rechtssicherheit für politisch engagierte, gemeinnützige Vereine wie das forumZFD - ein klarer Erfolg unserer politischen Arbeit. Wir werden die konkrete Umsetzung mit unseren Partnern kritisch begleiten.