Die EU als Friedensnobelpreisträgerin 2012 pendelt zwischen Sanktionspaketen, Waffenlieferungen und eigener Aufrüstung. Wer heute einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen fordert oder Zweifel am Weiterso bei immer neuen Waffen vorbringt, dem wird nicht selten Verlogenheit attestiert.
In einer österreichischen Umfrage wurde kürzlich gefragt: „Soll die Ukraine weiterkämpfen, um ihr Staatsgebiet zurückzugewinnen, oder muss es Frieden um jeden Preis geben – auch um den, dass Russlands Angriffskrieg letztlich erfolgreich ist?" Die Positionen lagen erstaunlich nah beieinander: 42 Prozent der Befragten sprachen sich für Weiterkämpfen aus, 37 Prozent für Frieden um jeden Preis. In der öffentlichen Debatte wird das Für und Wider jedoch auf einen schmalen Diskussionskanal entlang der EU-Politik verengt. Kein Wunder, wenn da so mancher Bauchschmerzen mit Blick auf die Entscheidung am Wahltag bekommt.
Damit ein Friedensprojekt nach innen und außen gelingt, braucht es auch jene, die neutral bleiben, wenn andere Waffen schicken, die aktiv werden, bevor der erste Schuss fällt, und die wieder Vertrauen schaffen wollen, wenn dunkle Wolken am Himmel sind.
Ganz neu ist die politische Marschrichtung der EU freilich nicht – eher schreibt sich darin der Trend der vergangenen Jahre fort. Großbritanniens Austritt 2016 hat die Bestrebungen verstärkt, sich bei Sicherheit, Militär und Rüstung autonomer – also möglichst ohne USA – aufzustellen. Dies brachte unter anderem einen EU-Rüstungsfonds, ein militärisches EU-Hauptquartier und ein militärisches Kerneuropa mit sich.
Auch bei der Rüstungsfinanzierung entwickelte die EU viel Kreativität. Ein Beispiel: Die sogenannte Friedensfazilität. Militäreinsätze oder militärische Unterstützung – für die Ukraine und ein gutes Dutzend weiterer Staaten – werden über dieses „Off-EU-Budget“ finanziert, das nicht Teil des regulären Haushalts ist. Der Grund: Die EU-Verträge erlauben keine gemeinsamen Militärausgaben. Heikel an diesem „Off-Budget“ ist, dass das EU-Parlament keine echte Mitsprache hat.
Was bringt das friedenspolitische Kreuzerl am Wahltag dann wirklich? Im Vergleich zum militärischen Bereich kam das Zivile wenig vom Fleck. Zivile EU-Einsätze haben sich in den letzten zehn Jahren personell sogar verkleinert. Das Ausbleiben breiter Debatten über den Charakterwandel der EU macht das Tempo bei Hard Power für viele seit letztem Jahr umso unverständlicher.
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Der Wahlkampf bietet nun Chancen, die Skizze einer gesamteuropäischen Friedensarchitektur mittels einer qualitätvollen Debatte „auf den Stimmzettel“ zu bringen. Wer überzeugt mit gemeinsamer Sicherheit, die Rüstung hüben wie drüben begrenzen will und damit für Berechenbarkeit sorgt? Wie können wir die OSZE und die UNO samt ihrem Gewaltverbot stärken?
„In Vielfalt geeint“ lautet das EU-Motto. Das gilt auch beim Frieden-Schaffen. Damit ein Friedensprojekt nach innen und außengelingt, braucht es auch jene, die neutral bleiben, wenn andere Waffenschicken, die aktiv werden, bevor der erste Schuss fällt, und die wieder Vertrauen schaffen wollen, wenn dunkle Wolken am Himmel sind.
Thomas Roithner ist Friedensforscher und Privatdozent für Politikwissenschaft an der Universität Wien. Außerdem arbeitet er für den Versöhnungsbund.