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„Die Geschichte gehört allen, auch den Frauen“

Ausstellungsmacherin Radmila Žigić im Interview

Wie erleben Frauen Krieg, Frieden und Wiederaufbau? Diese Frage steht im Zentrum der Ausstellung „Frauen geben Frieden ein Gesicht“, die nun erstmals in Deutschland gezeigt wird. Darin werden 20 Frauen aus allen Teilen Bosnien und Herzegowinas porträtiert, die ihre persönlichen Geschichten aus dem Krieg und der Nachkriegszeit erzählen. Im forumZFD-Interview erzählt Radmila Žigić, wie sie und ihr Team dieses besondere Projekt auf die Beine gestellt haben, und warum weibliche Perspektiven Teil der Erinnerungskultur werden müssen.
Peace with Women's Face
© privat

*** Aktueller Hinweis: Die Ausstellung wird vom 8.-28.1.2024 in Oldenburg gezeigt; mehr Infos unten ***

Es ist mittlerweile fast 27 Jahre her, dass der Krieg in Bosnien und Herzegowina mit dem Friedensabkommen von Dayton beendet wurde. Das war im Jahr 1995. Wie sehr prägt der Krieg die Gesellschaft bis heute?

Nachdem der Krieg 1992 begonnen hatte, dominierte er unsere Leben vier Jahre lang voll und ganz. Alles andere trat in den Hintergrund angesichts des Grauens und der Zerstörung. Und als die Kämpfe endeten, blieb das Land gespalten zurück. Die Trennlinien verlaufen entlang ethnischer Zugehörigkeiten – damals wie heute. Sie sind immer noch präsent in der Politik und sie haben einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung der Gesellschaft. Mit dem Ergebnis, dass wir uns immer noch in einem verlängerten Kriegszustand befinden – ein Krieg, der nicht mit Waffen gekämpft wird, sondern darin besteht, diese Trennlinien zu bewahren.

Was in den 1990er Jahren passiert ist, ist noch längst nicht in unsere Archive oder Geschichtsbücher eingegangen. Wir können uns ja noch nicht einmal darauf einigen, was für eine Art von Krieg das war: Manche glauben, es war ein Bürgerkrieg, andere glauben, es war ein Angriff seitens Serbiens oder Kroatiens gegen Bosnien und Herzegowina. Die Frage, wer den Krieg begonnen hat oder wer wen angegriffen hat, hindert uns daran, den Friedensprozess voranzubringen. Als zivilgesellschaftliche Aktivistin bereitet es mir große Sorgen, dass wir mit diesen Trennlinien weiterleben. Wir haben drei verschiedene Schulsysteme, drei verschiedene Mediensysteme und das hat natürlich einen direkten Einfluss auf die junge Generation. Die Kinder lernen in der Schule unterschiedliche Versionen der Geschichte. Das beeinflusst die Werte, mit denen sie aufwachsen – die Werte, auf deren Grundlage sie später die Politik und Wirtschaft unseres Landes prägen werden. Wir stehen vor einem ernsten Problem.

Nun habe ich ein sehr schlimmes Bild von der Lage in Bosnien und Herzegowina gezeichnet. Lassen Sie mich hinzufügen, dass die Bürger*innen in der Tat ein normales Leben führen. Sie sprechen miteinander und sie reisen innerhalb des Landes. Aber wenn es darum geht, wie im öffentlichen Raum dem Krieg gedacht wird: Das wird von der Politik bestimmt und deshalb findet das Gedenken entlang der ethnischen Trennlinien statt.

Könnten Sie das genauer erläutern: Wie wird an den Krieg erinnert?

In der öffentlichen Debatte erinnern die serbischen, kroatischen und bosniakischen Führungspersönlichkeiten nur an ihre eigenen Helden, ihr eigenes Leid, die Morde und die Verbrechen, die an ihrem eigenen Volk verübt wurden. Es gibt keine gemeinsame Erinnerungskultur, beispielsweise in Form von gemeinsamen Gedenktagen. Die politischen Entscheidungsträger*innen verhindern, dass in der Gesellschaft eine konsequente und systematische Aufarbeitung der Vergangenheit stattfinden kann. In den Medien und in der öffentlichen Debatte wird die Verantwortung für Kriegsverbrechen geleugnet.

Gleichzeitig gibt es in der Zivilgesellschaft einen nicht zu vernachlässigenden Widerstand gegen diese spalterische Politik. Viele zivilgesellschaftliche Organisationen, auch Frauenorganisationen, bemühen sich die ethnischen Trennlinien zu überwinden. Zum Beispiel organisieren sie gemeinsame Gedenkveranstaltungen und tragen auf basisdemokratischer Ebene zur Aufarbeitung der Vergangenheit bei.

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Warum braucht es eine Ausstellung, die den Krieg aus Sicht der Frauen erzählt?

Aus dem einfachen Grund, dass Frauen fünfzig Prozent der Bevölkerung ausmachen. Wir leben in einer patriarchalen Gesellschaft, in der große historische Ereignisse aus der Sicht von Männern erzählt werden, insbesondere aus der Sicht von Soldaten und Politikern. Das ist keine Besonderheit von Bosnien und Herzegowina, das trifft auch auf andere Länder zu. Wir gehören einer globalen Bewegung von Frauen an, die fordern, dass die Geschichte nicht nur aus Sicht von Männern erzählt wird, sondern auch aus der Sicht von Frauen. Während des Krieges in Bosnien und Herzegowina wurde überall gekämpft, in jeder Straße, jedem Dorf und jeder Stadt. Natürlich waren davon Männer ebenso betroffen wie Frauen und Kinder. Frauen haben in dieser Zeit schrecklich gelitten: Mindestens eine Million Frauen mussten ihr Zuhause verlassen, viele wurden Opfer sexueller Gewalt und etwa zehntausend wurden getötet. Diese Zahlen aber auch die individuellen Schicksale sollten Teil unserer Erinnerung sein. Die Geschichte gehört allen, auch den Frauen.

Und ganz praktisch gedacht muss dies auch in politischen Entscheidungsprozessen berücksichtigt werden. Wir haben eine klare Botschaft: Bei allen Entscheidungen über Entschädigungen, Wiederaufbau und ähnliche Themen muss das Schicksal von Frauen berücksichtigt werden. Bisher war dies nicht der Fall, weder in Bosnien und Herzegowina noch anderswo in der Welt.

Wenn wir über die Schicksale von Frauen im Krieg sprechen, dann dekonstruieren wir letztendlich den Mythos, Krieg sei etwas heroisches oder normales. In Wahrheit ist Krieg eine extrem schwierige Situation. Es bedeutet Zerstörung, Brutalität, Verbrechen und Mord. Die Ausstellung sendet daher eine klare Friedensbotschaft: Politische Konflikte können und dürfen nicht durch Krieg gelöst werden.

Die Ausstellung ist aus einer Zusammenarbeit zwischen der Frauenfriedensbewegung „Mir sa ženskim licem“ („Frauen geben Frieden ein Gesicht“), dem Historischen Museum von Bosnien und Herzegowina sowie dem forumZFD entstanden. Wie kam es zu dieser Idee?

Sunita Dautbegović Bošnjaković vom forumZFD und ich haben darüber nachgedacht, wie wir die Geschichten von Frauen während des Krieges und in der Nachkriegszeit auf eine neue Weise erzählen könnten. Da kam uns diese Idee, die wir anschließend in einem Treffen mit rund zwanzig zivilgesellschaftlichen Organisationen, die zu Frauenthemen arbeiten, vorstellten. Es war eine große Herausforderung, denn normalerweise bilden Ausstellungen und Museen Ereignisse aus der Vergangenheit ab. Im Gegensatz dazu sollte unsere Ausstellung nicht nur die Vergangenheit zeigen, sondern auch die Gegenwart. Nach einer Weile fanden wir schließlich das richtige Format. Wir haben uns sehr gefreut, dass das Team des Historischen Museums sich mit seiner professionellen Erfahrung eingebracht hat. Gemeinsam haben wir einen Weg gefunden, wie wir die Berichte der Zeitzeuginnen in Ausstellungsexponate umwandeln konnten.

Wie haben Sie die zwanzig Frauen ausgewählt, die in der Ausstellung porträtiert werden?

Insgesamt haben sich 13 Organisationen an dem Auswahlprozess beteiligt. Zuerst haben wir gemeinsam Kriterien festgelegt. Anschließend konnte jede Organisation von der Initiative „Frauen geben Frieden ein Gesicht“ Vorschläge machen. Wir wollten Frauen aus allen Teilen Bosnien und Herzegowinas abbilden, mit unterschiedlichen ethnischen und religiösen Zugehörigkeiten. Ihre Geschichten sind typische Schicksale aus dem Krieg und der Nachkriegszeit. Beispielsweise mussten einige der porträtierten Frauen flüchten oder wurden vertrieben. Manchen wurde sexuelle Gewalt oder Folter angetan, einige haben Familienmitglieder verloren. Sie alle mussten auf unterschiedliche Weise ums Überleben kämpfen.

Ein entscheidendes Kriterium im Auswahlprozess war zivilgesellschaftliches Engagement: Alle diese Frauen haben es geschafft, das Erlebte zu überwinden. Dies sind Frauen, die ihr Leben wiederaufgebaut und vielleicht sogar anderen dabei geholfen haben. Ja, sie haben gelitten, aber sie alle sind aktiv geworden. Wir haben uns bewusst dafür entschieden, zivilgesellschaftliche Aktivist*innen zu porträtieren. Damit wollen wir dem weitverbreiteten Bild von Frauen als Opfern etwas entgegensetzen.

Die Frauen erzählen sehr persönliche Geschichten. War es schwierig, sie davon zu überzeugen, ihre Erlebnisse öffentlich zu machen?

Alle Frauen haben zugestimmt ihre Geschichten unter ihrem echten Namen zu veröffentlichen. Sie haben die Bedeutung dieser Ausstellung erkannt und sie sind stolz, ein Teil davon zu sein. Tatsächlich hatten viele von ihnen das Bedürfnis, ihre Geschichten öffentlich zu machen. In Bosnien und Herzegowina haben Frauen einen sehr begrenzten Raum um ihre Meinungen zu äußern. Nach dem Krieg in den 1990er Jahren waren im neu gewählten Parlament überhaupt keine Frauen vertreten. Sie hatten ihren Raum in der politischen und in der öffentlichen Debatte komplett verloren – wo sollten sie ihre Meinungen ausdrücken und ihre Rechte einfordern? Das hat unsere Möglichkeiten, auf die Politik Einfluss zu nehmen, erheblich eingeschränkt. In der Folge gründeten sich viele Frauenorganisationen, denn dies war die einzige Möglichkeit um für unsere Interessen einzustehen. Das ist ein weiterer Grund, warum unsere Ausstellung zivilgesellschaftlichen Aktivismus von Frauen in den Mittelpunkt stellt: Es zeigt, wie Frauen sich ihren Raum in der Öffentlichkeit und in der Politik zurückerkämpft haben.

 

Was hat Sie an den Geschichten der Frauen am meisten beeindruckt?

Angesichts meines Alters und meiner Erfahrungen waren diese Geschichten für mich nicht neu. Ich war bereits erwachsen, als der Krieg ausbrach, und arbeitete als Journalistin. Ich habe bereits seit Langem gewusst, was Frauen im Krieg erlebt haben. Natürlich habe ich mich selbst in einigen der Geschichten wiedererkannt – es gibt zum Beispiel eine Frau, die Menschen mit einer anderen ethnischen Zugehörigkeit geholfen hat. Das ist etwas, was ich selbst erlebt habe. Aber während der Konzeption der Ausstellung haben das Team und ich uns weniger auf die Details konzentriert, sondern vielmehr darauf, diese Geschichten einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Mein Wunsch ist, dass diese Geschichten eines Tages Teil der offiziellen Informationsquellen über den Krieg und die Nachkriegszeit werden.

Die Ausstellung wurde bereits an mehreren Orten in Bosnien und Herzegowina und in Serbien gezeigt. Welche Reaktionen haben Sie von den Besucher*innen und der Öffentlichkeit bekommen?

Wir bekommen sehr positive Rückmeldungen vom Publikum. Wie eingangs erwähnt gibt es in Bosnien und Herzegowina nur sehr wenige Gelegenheiten für ein gemeinsames Gedenken über ethnische und religiöse Trennlinien hinweg. Das macht die Ausstellung zu etwas ganz Besonderem. Wir haben an allen Ausstellungsorten viel Lob von den Besucher*innen bekommen. Etwas herausfordernder war es in Städten, in denen massenhafte Kriegsverbrechen begangen worden sind. Die Situation in diesen Orten ist sehr komplex, da die Leugnung von Kriegsverbrechen weit verbreitet ist. Es gibt keine Aufarbeitung der Vergangenheit und jegliche Veranstaltung, die inklusive Narrative verbreitet, ist unerwünscht. In einigen dieser Städte war die Atmosphäre sehr angespannt und die Eröffnung der Ausstellung stand unter Polizeischutz.

Mit Unterstützung des forumZFD und Pax Christi Aachen wird die Ausstellung nun erstmals in Deutschland gezeigt. Was ist Ihre Botschaft an das deutsche Publikum?

Wir sind dem forumZFD und Pax Christi Aachen sehr dankbar für die gute Zusammenarbeit, die es uns ermöglicht, der deutschen Öffentlichkeit ein völlig anderes Bild von Bosnien und Herzegowina sowie von der Rolle der Frauen zu zeigen. Ich hoffe, dass wir unsere Botschaften gut rüberbringen können. Bosnien und Herzegowina ist ein Land voller Gegensätze – es gibt einige schlimme Dinge, aber es gibt auch sehr gute Dinge und mutige Menschen, in diesem Fall Frauen.

Für das Team und mich war es eine große Herausforderung, unsere Botschaften für eine andere Weltregion zu übersetzen. Aber ich würde sagen, dass wir zwei Hauptaussagen haben. Zum einen sprechen die Geschichten der Frauen für sich. Sie verdeutlichen, dass Frauen eine ernstzunehmende Macht sind, wenn es darum geht, Frieden zu schaffen. Egal, was die Geschichtsschreibung auch sagen wird: Frauen sind die wahren Heldinnen des Wiederaufbaus. Alle, die Bosnien und Herzegowina besuchen, sollten die zivilgesellschaftliche Frauenbewegung ernst nehmen.

Die zweite Hauptaussage dieser Ausstellung ist eine universelle Botschaft. Daran anknüpfend, was ich zu Beginn gesagt habe: Es ist wichtig zu verstehen, was Frauen während des Krieges passiert – aber genauso wichtig ist es zu verstehen, was Frauen in der Nachkriegszeit beitragen können. Sie verdienen es, in alle politischen Entscheidungen zum Wiederaufbau und zum Friedensprozess einbezogen zu werden. Meines Wissens nach gibt es momentan etwa zwanzig Konflikte weltweit. Die Botschaften unserer Ausstellung gelten für alle diese Länder.

Zum Abschluss ein Blick voraus: Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?

Wir schmieden natürlich bereits Pläne für nach der Ausstellung in Deutschland. Wir werden die Ausstellung in weiteren Städten in Bosnien und Herzegowina zeigen und wir suchen derzeit nach Möglichkeiten, sie dauerhaft für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Gleichzeitig haben wir noch eine andere wichtige Kampagne. Sie heißt „100 Frauen – 100 Straßen benannt nach Frauen“. Diese Kampagne setzen wir in zwölf Städten in Bosnien und Herzegowina um. Ziel ist es, die Erinnerungskultur gleichberechtigter zu gestalten. Wir haben auch noch ein Dutzend andere Ideen und sehen großen Bedarf für weitere Projekte. Aber allein schon aus Qualitätsgründen müssen wir Prioritäten setzen – wir können nicht alles auf einmal machen.

*** Aktueller Hinweis: Die Ausstellung wird zurzeit in Oldenburg gezeigt ***

„Frauen geben Frieden ein Gesicht"

Ausstellungsort:
In der Forumskirche St. Peter
Peterstraße 20
Oldenburg

Ausstellungseröffnung:
8. Januar. 2024 | 18.00 Uhr

Ausstellungszeitraum:
8. - 28.1.2024
9:00 Uhr bis 18:00 Uhr
(Ausnahme:
In der Zeit des Sonntagsgottesdienstes von 10:00 Uhr bis 11:30 Uhr kann die Ausstellung nicht besucht werden).

Mehr Informationen zur Ausstellung und zum Rahmenprogramm finden Sie hier.

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