„Ich lasse mich nicht einschüchtern.“

MONITOR-Moderator Georg Restle im forumZFD-Interview

Georg Restle, geboren 1965 im schwäbischen Esslingen, entschied sich nach seinem Jurastudium in Freiburg und London für eine Laufbahn als Journalist. Nach verschiedenen Stationen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, unter anderem als ARD- Korrespondent in Moskau, übernahm er 2012 die Leitung der MONITOR-Redaktion. Das investigative Politmagazin ist bereits seit 1965 auf Sendung und vielfach für besondere journalistische Leistungen ausgezeichnet worden. In seinen Kommentaren in MONITOR und in den Tagesthemen bezieht Georg Restle klar Stellung zu Tagesthemen aktuellen politischen Themen. 2017 gehörte er zu- dem zu den Erstunterzeichnern des Aufrufs des forumZFD zur Bundestagswahl: „Für eine Politik der Vernunft. Aufrüstungsspirale stoppen. Frieden und Gerechtigkeit fördern.“
MONITOR-Moderator Georg Restle
© Georg Restle: WDR, Görgen

Herr Restle, wie ist Ihr Interesse an Politik entstanden?

Ich habe mich schon sehr früh für Politik interessiert und war als Schülerzeitungsmacher und als Landesschülersprecher in Baden-Württemberg aktiv. Mein Antrieb war ein zutiefst demokratischer: Wir Schüler wollten mit unseren Forderungen gehört werden, ob bei Demonstrationen für günstigere Bus- und Bahntickets oder in Zeiten der Friedensbewegung. Das war auch ein Appell dafür, dass politische Inhalte in der Schule behandelt werden sollten und dass darüber gestritten wird. Dieses Interesse für Politik hat sich wie ein roter Faden durch mein Leben gezogen.

Wenn Sie an Ihr eigenes politisches Engagement als Jugendlicher zurückdenken, wie blicken Sie auf die aktuellen Proteste vieler Schülerinnen und Schüler bei Fridays for Future?

Ich finde diese Politisierung großer Teile der Gesellschaft, insbesondere in der Altersgruppe sechzehn plus, grundsätzlich sehr positiv. Es tut unserer Demokratie gut, wenn sich Menschen für ihr Umfeld interessieren und als politische Bürger in der Gesellschaft begreifen. Ich bin erstaunt, wie gut informiert viele Jugendliche sind und wie breit das Themenspektrum ihres politischen Engagements ist, von Klimawandel über Solidarität mit Seenotrettern bis hin zu Kapitalismuskritik. In den neunziger Jahren hatte ich den Eindruck, dass sich gerade jüngere Menschen vor allem für ihre Karriere und für sich selbst interessieren. Heute versammeln sie sich zu Zehntausenden und bringen ihre Stimmen nicht nur laut, sondern auch sehr intelligent und differenziert zum Ausdruck.

Fridays for Future in Berlin: „Die jungen Menschen bringen ihre Stimmen nicht nur laut, sondern auch sehr intelligent und differenziert zum Ausdruck“, meint Georg Restle.

Abgesehen von diesem positiven Schwung: Welche Veränderungen nehmen Sie in der Gesellschaft derzeit noch wahr?

Vor allem eine massive Grenzverschiebung und Radikalisierung am rechten Rand: gesamtgesellschaftlich durch das Auftauchen der AfD und innerhalb der AfD durch den Siegeszug des extremistischen Flügels. Auch inner- halb der rechtsextremistischen Szene findet eine Radikalisierung statt, mit ganz neuen Strukturen, in denen Rechtsterroristen agieren und – wie wir gesehen haben – auch zur Tat schreiten. Ich sehe in dieser gesamten Entwicklung eine Bedrohung für unsere Demokratie. Das verändert nicht nur die Gesellschaft, sondern auch unsere Arbeit als Journalisten: Wir müssen uns fragen, inwieweit wir offensive Angriffe auf die Verfassung hinnehmen müssen und wann wir gefordert sind, dagegenzuhalten. Journalismus – vor allem der öffentlich-rechtliche – hat schließlich die Pflicht, die demokratischen Freiheiten, die unsere Verfassung vorsieht, zu verteidigen.

Als Reaktion auf Ihre politischen Kommentare sind Sie teilweise mit Beschimpfungen und sogar mit Morddrohungen konfrontiert. Wie gehen Sie damit um?

Als Journalist ist es mir einerseits wichtig, mich nicht einschüchtern zu lassen. Denn das Motiv ist eindeutig, meine Kolleginnen und Kollegen und mich zum Schweigen zu bringen. Auf der anderen Seite will ich auch nicht in eine „Jetzt erst recht“-Haltung verfallen und die eigene Betroffenheit in den Vordergrund stellen. Stattdessen recherchieren wir bei Monitor auch weiterhin akribisch die Fakten und trauen uns auf dieser Basis eine Einordnung gesellschaftlicher Entwicklungen zu. Interessanter- weise wird oftmals weniger meine Haltung kritisiert – es werden vielmehr die Fakten bestritten, die zu meiner Einordnung führen. Das erleben wir bei Monitor schon seit vielen Jahren, nicht nur beim Thema Rechtsextremismus: Unter dem Vorwand, Kritik an unserer Position zu üben, werden die Fakten angegriffen, die wir präsentieren. Die Diffamierung als „Haltungsjournalisten“ oder „Systemmedien“ ist der sehr durchsichtige Versuch, unsere Recherchen zu diskreditieren.

Konfliktsensibler Journalismus leistet einen Beitrag zum Frieden:
Das lernen die Teilnehmenden dieser forumZFD-Weiterbildung auf den Philippinen.

 

Die Spielräume für kritische Zivilgesellschaft werden enger, in Deutschland und anderswo in Europa und der Welt. Ist die Meinungs- und Pressefreiheit in Gefahr?

Verglichen beispielsweise mit Ungarn oder Polen sind wir in Deutschland noch in einer relativ guten Situation. Aber natürlich gibt es Gefahren. Es ist ja kein Geheimnis, dass die AfD eine Vorstellung von Pressefreiheit hat, in der der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht mehr stattfindet und in der kritische Journalisten keinen Platz haben. Aber es gibt auch andere Gefahren für die Pressefreiheit: Zum Beispiel die Unterfinanzierung von Journalismus, aber auch die Digitalisierung der Medienwelt, in der Algorithmen die Verbreitung von Informationen beeinflussen. Von der Politik würde ich mir wünschen, dass sie die Verteidigung der Presse- und Meinungsfreiheit wieder mehr in den Fokus rückt. Beispiel Polizeigesetzgebung: Wenn wir über eine Stärkung von Eingriffsrechten der Polizei nachdenken, müssen wir die Wahrung von Journalistenrechten mindestens mitdenken. Wenn Sicherheit anstelle von Freiheit zum Primat der Politik wird, gerät auch die Pressefreiheit in Gefahr.

Bei einer Demonstration gegen Rechts vor fünf Jahren in Köln haben Sie davor gewarnt, Pegida-Anhänger pauschal als Nazis abzustempeln. Stattdessen haben Sie für Aufklärung im Dialog geworben. Sehen Sie das heute noch genauso?

Ich gebe zu, dass diese Haltung – die ich immer noch habe – im letzten Jahr sehr strapaziert wurde. Bei einem Teil der Anhänger rund um Pegida und die AfD scheint jede Dialogfähigkeit erloschen zu sein: Das Weltbild ist hermetisch abgeschlossen, nichts dringt durch. Aber ich glaube, es gibt gar keine Alternative zur Dialogbereitschaft. Im persönlichen Austausch, zum Beispiel bei Recherchen in Chemnitz, erlebe ich immer wieder, dass es auch unter den AfD-Wählern Menschen gibt, mit denen sich der Dialog lohnt. Da sollten wir auf keinen Fall nachlassen. Dagegen betrachten einige Strategen der AfD, insbesondere aus dem extremistischen Flügel, Kommunikation als ein Schlachtfeld zur Durchsetzung ihrer Umsturzfantasien. Manche Debatten werden nur deshalb angestoßen, um die Grenzen weiter zu verschieben. Da- ran sollten wir uns als Journalisten nicht beteiligen und dafür keine Bühne bieten.

Viele Zehntausend Menschen stellten sich seit Herbst 2018 dem Rechtsextremismus unter dem Motto #unteilbar bei Demonstrationen entgegen.

Das forumZFD arbeitet unter anderem auf den Philippinen im Bereich Friedensjournalismus. Wie können Medien zu einem konstruktiven Umgang mit gesellschaftlichen Konflikten beitragen?

„Journalismus hat die Pflicht, unsere demokratischen Freiheiten zu verteidigen.“

Georg Restle

Überall da, wo wir extremistische Radikalisierungen erleben und die Dinge gesellschaftlich aus dem Ruder laufen, sind wir Journalisten gefordert. Klar: Die Medien können den konstruktiven Dialog in der Gesellschaft begleiten und eine Bühne bereitstellen, auf der Konflikte ausgetragen werden. Journalismus kann Brücken bauen. Aber es gibt eine klare Grenze bei menschenverachten- den, extremistischen oder völkisch-nationalistischen Positionen. Wenn zum Beispiel in Deutschland der Holocaust geleugnet wird und Menschenwürde nur noch für Deutsche gelten soll, würde Brückenbauen bedeuten, diese Positionen gesellschaftsfähig zu machen. Ich finde eben nicht, dass Journalisten sich an einem Wiedererstarken des völkischen Nationalismus beteiligen sollten, der dieses Land und diesen Kontinent schon zweimal ins Verderben geführt hat. Da sollten wir schon sehr deutlich klarstellen, dass solche Haltungen außerhalb des Grundverständnisses unserer Gesellschaft liegen.

Aktuell wird in der Bundespolitik wieder verstärkt über das Ziel der NATO diskutiert, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben. Macht mehr Militär die Welt sicherer?

Nein, im Gegenteil. Wir erleben zurzeit eine Militarisierung auf vielen Ebenen, sei es bei der Aufrüstung der NATO oder bei der Aufkündigung großer Rüstungskontrollverträge. Wir erleben zunehmend expansive Rüstungsexporte in Krisenregionen. Es ist ein Skandal, dass Deutschland entgegen der Ankündigung des Koalitionsvertrages weiterhin Waffen an die Kriegsparteien im Jemen liefert. Gleichzeitig erleben wir eine Aufrüstung von Polizei und Militär in den Herkunftsstaaten von Flüchtlingen in Ostafrika und der Sahelzone – mithilfe der Bundesregierung. Dadurch werden diese Regionen keineswegs friedlicher, denn wir unternehmen keine vergleichbaren Anstrengungen, um die Zivilgesellschaft zu stärken. Hier gerät etwas völlig aus dem Gleichgewicht.

Die Europäische „Friedensfazilität“, die unter anderem Waffenlieferungen an Drittstaaten ermöglichen soll, könnte diese Trends weiter verstärken.

Der Schutz der europäischen Außengrenzen wird häufig als Totschlagargument genutzt, um jegliches Engagement auch militärischer Art zu rechtfertigen. Wenn wir Diktaturen aufrüsten, wird dies in den nächsten Jahrzehnten wahrscheinlich blutige Konflikte nach sich ziehen. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel in der europäischen Außenpolitik, damit sich Europa als Friedensmacht im wahren Sinn des Wortes begreift. Dafür ist vor allem ein Umdenken in der Rüstungsexportpolitik nötig, auch wenn es die eigene Industrie betrifft. Durch die Beteiligung an europäischen Gemeinschaftsprojekten wurden die deutschen Richtlinien stark aufgeweicht. Das ist der falsche Weg.

Herr Restle, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Das Gespräch führte Oliver Knabe.