„Schnelle, unbürokratische Hilfe ist das Gebot der Stunde“

Bundesministerin Svenja Schulze im forumZFD-Interview

Svenja Schulze (SPD) ist seit Dezember 2021 Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Dem vorherigen Kabinett gehörte sie bereits als Umweltministerin an. Im Interview spricht sie über das zivile Engagement der Bundesregierung in der Ukraine und verspricht, sich weiterhin für eine Stärkung des Zivilen Friedensdienstes einzusetzen.
Svenja Schulze
© BPA/Steffen Kugler

In den Tagen dieses Interviews setzt die russische Regierung ihren Angriffskrieg in der Ukraine unvermindert fort. Sie selbst haben in ihrer Haushaltsrede im Bundestag von den großen Aufgaben für die Entwicklungspolitik gesprochen angesichts der Millionen Kriegsflüchtlinge und der Auswirkungen des Krieges auch auf andere Länder und Krisen. Wie reagiert Ihr Ministerium?

Die Folgen dieses Krieges sind immens: Auf unserem Kontinent gibt es eine Fluchtbewegung wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Innerhalb der Ukraine sind über 7 Millionen Menschen auf der Flucht. Über 4 Millionen Menschen, vor allem Frauen und Kinder, haben die Ukraine bereits verlassen. Aktuell sind wir dabei, rund 85 Millionen Euro aus dem Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) für die akuten Bedarfe der Ukraine umzuschichten. Damit unterstützen wir unter anderem die Unterbringung von Binnenvertriebenen, psychosoziale Betreuung von Frauen und Kindern und die Stärkung des ukrainischen Katastrophenschutzes mit technischen Geräten und Feuerlöschfahrzeugen. Weitere Unterstützung ist in Vorbereitung. Auch die Hilfe für die Republik Moldau, die viele Geflüchtete aufgenommen hat, haben wir gerade auf 40 Millionen Euro aufgestockt.

Darüber hinaus sind jetzt schon die globalen Folgen des Krieges sichtbar: Russland und Ukraine sind die Kornkammern der Welt. Es drohen Hungersnöte in den Ländern, die von Weizenimporten abhängen. Wir werden als Bundesregierung deshalb weitere 430 Millionen Euro für den Kampf gegen Hunger zur Verfügung stellen. Es ist ein Gebot der Menschlichkeit, mit all unserer Kraft zu helfen. Das wird nur mit einem international abgestimmten Herangehen gelingen. Mit unseren internationalen Partnern, mit der EU und mit der ukrainischen Regierung sind wir im laufenden Austausch. So werden der Krieg in der Ukraine und die globalen Folgen auch zentrales Thema der Frühjahrstagung der Weltbank sein.

Auch das forumZFD setzt seine langjährige Unterstützung für zivilgesellschaftliche Organisationen in der Ukraine auch im Krieg bestmöglich fort. Wie wird die Entwicklungszusammenarbeit die ukrainische Zivilgesellschaft weiter unterstützen?

Schnelle, flexible und unbürokratische Hilfe für die betroffenen Menschen ist das Gebot der Stunde. Träger mit laufenden Vorhaben und ihre Partnerorganisationen vor Ort werden weiter unterstützt und können ihre Projekte anpassen. Das BMZ wird das so flexibel wie möglich handhaben. Das gilt für die Träger des Zivilen Friedensdienstes genauso wie für private und kirchliche Träger sowie die Stiftungen. Deutsche zivilgesellschaftliche Organisationen einschließlich der kirchlichen Zentralstellen haben erfahrene Partnerorganisationen in der Ukraine, mobilisieren erfolgreich Mittel, auch über Spenden, und leisten bereits lebenswichtige Unterstützung. Das BMZ unterstützt diese Arbeit aktiv und beteiligt sich an der Finanzierung der Projekte.

Mit Blick auf die syrische oder die afghanische Diaspora haben wir bereits in den letzten Jahren gelernt, wie wichtig und zugleich prekär die Unterstützung zivilgesellschaftlicher Gruppen für Frieden und Entwicklung auch außerhalb des eigenen Landes ist. Das gilt nun auch für Teile der ukrainischen Zivilgesellschaft, schon jetzt finden Aktivistinnen und Aktivisten in verschiedenen EU-Staaten Zuflucht und setzen ihre Arbeit aus der Ferne fort. Wie kann die Bundesregierung diese Formen der politischen Selbstorganisation flexibler und stärker unterstützen?

Migrantinnen, Migranten und Diaspora-Organisationen sind ein integraler Teil der Zivilgesellschaft in Deutschland. Sie sind eine wichtige Anlaufstelle für Menschen, die hier ankommen, und für die Bundesregierung, denn sie haben aufgrund ihrer Netzwerke Zugang zu den Angekommenen und sind somit wichtige Partner für die Information, Versorgung und Integration von Geflüchteten. Es ist mir wichtig, die Expertise der Diaspora für die Entwicklungspolitik zu nutzen und Menschen mit Migrationsgeschichte stärker einzubeziehen – gerade auch in Krisen- und Konfliktsituationen sind wir darauf angewiesen, breite Beratung zu bekommen und lokale Expertise zu nutzen. Wir richten uns mit einer Reihe von Programmen direkt an zivilgesellschaftliche Diaspora-Organisationen, auch mit Blick auf die Ukraine. Auf unserem Portal Diaspora2030.de bieten wir Informationen zu Fördermöglichkeiten.

Nicht nur in der Ukraine oder in Russland, sondern weltweit geraten Demokratie und Zivilgesellschaft unter Druck und der Frieden in Gefahr. Der russische Angriffskrieg führt uns die Verbindung zwischen autoritären Regimen und kriegerischem Handeln besonders vor Augen. Wäre es nicht an der Zeit, dass das BMZ darauf reagiert, beispielsweise mit einer neuen Sonderinitiative „Frieden, Zivilgesellschaft und Demokratie“?

Das BMZ unterstützt zivilgesellschaftliches Handeln in weit größerem Maße, als sich das in einer Sonderinitiative abbilden ließe. Die Förderung privater und kirchlicher Träger und des Zivilen Friedensdienstes sind ein wichtiger Teil davon. Die Festigung demokratischer und zivilgesellschaftlicher Strukturen unter Beteiligung aller Bevölkerungsgruppen durch die politischen Stiftungen ist nun wichtiger denn je und wird gezielt gefördert. Aber auch ein sehr signifikanter Anteil der zwischenstaatlich vereinbarten Vorhaben dient der Friedens- und Demokratieförderung.

Gerade weil Frieden und Demokratie unter Druck geraten, braucht es einen erweiterten Sicherheitsbegriff, zu dem die gesamte menschliche Sicherheit von der Ernährung und der Energieversorgung über die Gesundheit bis zu einem stabilen Klima gehört. Das bringen wir mit Nachdruck in die nationale Sicherheitsstrategie ein, die derzeit erarbeitet wird.

In diesen Wochen berät der Deutsche Bundestag den Haushalt für das Jahr 2022. Der Entwurf der Bundesregierung sieht erstmals eine Reduzierung des Entwicklungsetats vor, während die Verteidigungsausgaben – auch ohne das Sondervermögen Bundeswehr – weiter steigen. Laut Koalitionsvertrag müssten auch der Entwicklungsetat sowie die Mittel für Krisenprävention und humanitäre Hilfe entsprechend anwachsen. Erwarten Sie noch eine Korrektur oder wird die Schere zwischen Verteidigungsausgaben und den Ausgaben in Krisenprävention und Entwicklung weiter auseinandergehen?

Der Etatentwurf der Bundesregierung ist nur ein Zwischenstand. Zwar wird voraussichtlich das Ziel erreicht, 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung für die Entwicklungszusammenarbeit zu reservieren. Aber das reicht nicht – es gibt schließlich eine noch nie dagewesene Häufung von Krisen. Nie war Entwicklungspolitik wichtiger als heute. Der russische Angriff auf die Ukraine kommt ja zur Corona-Pandemie, zum Artensterben und zum Klimawandel noch dazu – und all das ist wiederum verbunden mit Ernährungskrisen und Fluchtbewegungen. Ich erwarte deshalb, im Ergänzungshaushalt zusätzliche Mittel für die Abfederung der Folgen des Ukraine-Kriegs für die Entwicklungszusammenarbeit zu bekommen.

Mehr als 3.000 Menschen haben in den letzten Wochen einen Aufruf an den Bundeskanzler, an den Finanzminister und an Sie unterzeichnet, wie im Koalitionsvertrag vereinbart Deutschlands Rolle bei der Entschärfung internationaler Krisen auszubauen und dazu mehr Mittel für zivile Friedenskräfte bereitzustellen. Werden Sie sich dafür einsetzen?

Wir haben die Strukturen, um zivile Friedenskräfte dort einzusetzen, wo es geht: zur Krisenprävention, Mediation, traumapsychologischer Betreuung, Erinnerungsarbeit und Versöhnung. Das sind wichtige Aufgaben, für deren Stärkung und Finanzierung ich mich weiterhin einsetze.

Ihr Ministerium setzt sich für ein besseres Zusammenwirken von humanitärer Hilfe, Entwicklungsarbeit und Friedensförderung in Krisengebieten ein. Was erwarten Sie explizit von Friedensorganisationen in diesem Zusammenhang?

Friedensförderung setzt für uns an den strukturellen Ursachen von Konflikten und Fluchtbewegungen an. Trotzdem muss oft die flexible, schnell wirksame Unterstützung in akuten Krisen gewährleistet werden.

Ein gutes Zusammenwirken kann auf vielen Ebenen entstehen. Das beginnt in der Bundesregierung, und das praktizieren wir. Aber an jeder Stelle ist es nötig, dass die unterschiedlichen Organisationen die Arbeitsweise der anderen kennen, dass sich Fachleute persönlich austauschen, dass es einen Anreiz gibt zur Kooperation. Es geht um einen umfassenden, von uns allen gelebten Kulturwandel.

Wir erleben in vielen Ländern, wie Rassismus und Kolonialismus die Konflikte prägen. Wie fördern Sie antirassistische, dekoloniale Entwicklungszusammenarbeit und entwicklungspolitische Bildungsarbeit?

Als Entwicklungsministerin geht es mir um gute Entwicklungsperspektiven, Solidarität und Gerechtigkeit für alle Menschen weltweit. Unsere Zusammenarbeit orientiert sich – das verstehe ich unter partnerschaftlicher Zusammenarbeit auf Augenhöhe – an den Interessen und nationalen Entwicklungsplänen unserer Partner, ebenso wie an den Sustainable Development Goals (SDG) und wichtigen internationalen Rahmenvereinbarungen, wie dem Pariser Klimaabkommen.

Mein Anspruch an gute Entwicklungspolitik ist, dass wir gemeinsam mit unseren Partnerländern Antworten auf wichtige Zukunftsfragen finden. Das gelingt dann, wenn wir offen sind für neue Perspektiven, wenn der Dialog mit unseren Partnern transparent und wertschätzend ist. Dazu gehört für mich ein offener, respektvoller und konstruktiver Austausch über Differenzen. Das ist für mich das Gegenteil einer chauvinistischen Haltung, in der nur wir in Europa die fertigen Antworten haben.

Sie setzen sich für eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik ein. Was bedeutet das konkret, auch für Programme wie den Zivilen Friedensdienst?

Feministische Entwicklungspolitik bedeutet, dass wir uns gemeinsam mit vollem Einsatz für gleiche Rechte und gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen einsetzen, Ressourcen zur Verfügung stellen und konkrete Wege finden, Frauen und Mädchen zu stärken.

In Programmen wie dem Zivilen Friedensdienst ist es schon längst klar, dass Krisen, Kriege und Konflikte Frauen und Mädchen hart treffen. Zugleich können sie mit der Beteiligung von Frauen nachhaltiger gelöst werden. Mein Eindruck ist, dass die feministische Entwicklungspolitik in zivilgesellschaftlichen Programmen schon Realität ist. Mittlerweile sind mehr als 50 Prozent der nach dem Entwicklungshelfergesetz entsandten Fachkräfte Frauen. Gratulation dazu!

Der Zivile Friedensdienst wird zum Ende dieser Legislaturperiode 25 Jahre alt. Welche Zukunft wünschen Sie dem Zivilen Friedensdienst als verantwortliche Ministerin?

Ich wünsche mir, dass die Kriege in der Ukraine, aber auch im Jemen, Syrien und anderenorts dann lange beendet sind, und der Zivile Friedensdienst in diesen Ländern dazu beitragen kann, nicht nur einen Waffenstillstand, sondern auch den Frieden langfristig zu sichern.

Herzlichen Dank, Frau Bundesministerin.

Die Fragen stellte Christoph Bongard. (12. April 2022)