„Ohne Gerechtigkeit gibt es keinen Frieden“

forumZFD-Interview mit der Frauenrechtsanwältin Janet Anyango

Janet Anyango arbeitet als Anwältin für die „Federation of Women Lawyers“ in Kenia. Dabei vertritt sie vor allem Frauen, die ansonsten keinen Zugang zu juristischer Hilfe hätten. Sie ist außerdem ausgebildete Mediatorin und nahm 2021 an der Weiterbildung zu Friedens- und Konfliktarbeit der forumZFD- Akademie teil. Im Interview erzählt sie unter anderem, wie sie das Gelernte in ihrer täglichen Arbeit anwendet.
Janet Anyango 1
© privat

Frau Anyango, worin genau besteht Ihre Arbeit bei der „Federation of Women Lawyers“?

Wir sind eine Organisation, die sich für Frauenrechte und gegen jegliche Form von Diskriminierung einsetzt. Vor Gericht vertreten wir Frauen, die sich sonst finanziell keinen rechtlichen Beistand leisten könnten. Unser Fokus liegt auf Themen wie sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt, Land- und Eigentumsrechten, Familienangelegenheiten und Kinder- und Eherechten. Neben der Vertretung unserer Klientinnen vor Gericht bereiten wir einige auch darauf vor, sich selbst zu verteidigen. Darüber hinaus bin ich ausgebildete Mediatorin. Die Themen Frieden und Konflikt beschäftigen mich daher sehr.

Warum haben Sie angefangen, im Bereich der Friedensarbeit und Menschenrechte zu arbeiten?

Seit ich ein kleines Kind war, wollte ich Anwältin werden. Ich wollte sicherstellen, dass Menschenrechte geschützt, eingehalten und respektiert werden. Nach meinem Jurastudium entdeckte ich die „Federation of Women Lawyers“ und fing an, dort zu arbeiten. Dabei ist mir bewusst geworden, dass ich mich nicht nur für Menschenrechte allgemein einsetzen möchte – sondern ganz besonders für Frauenrechte. Ich wollte einen Beitrag dazu leisten, dass alle Menschen zu ihrem Recht kommen. Es geht darum, dass Frauen Kontrolle über sich, ihren Körper und all das, was ihnen wichtig ist, haben. Wir sind fest überzeugt, dass es ohne Gerechtigkeit keinen Frieden gibt. Den Klientinnen bedeutet unsere Hilfe sehr viel: Sie werden gehört und wahrgenommen. Hierbei spielt auch die sogenannte alternative Rechtsprechung eine wichtige Rolle.

Was verbirgt sich dahinter?

Einerseits gibt es die formellen, offiziellen Gerichtsprozesse. Es gibt aber auch viele Fälle, die durch andere Methoden bearbeitet werden. Das bezeichnen wir als alternative Rechtsprechung. Dieses System erkennt die Tatsache an, dass Konflikte auch auf informelle Art durch Mediation und Versöhnung gelöst werden können. Genau weil dieses Verfahren so informell und kostengünstig ist, ist es sehr interessant für unsere Klientinnen. Mich persönlich motiviert es zu sehen, dass Menschen ihre Meinung überdenken und ändern können.

Mit ihrer Arbeit setzen sich Janet Anyango (rechts im Bild) und ihre Kolleg*innen gegen jegliche Form von Gewalt gegen Frauen und Mädchen ein.

2021 haben Sie an der zehnwöchigen Weiterbildung zu Friedens- und Konfliktarbeit teilgenommen, die unsere Akademie für Konflikttransformation anbietet. Was ist Ihnen davon in Erinnerung geblieben?

Der Kurs war sehr interessant für mich, weil ich mich mit Menschen aus der ganzen Welt austauschen konnte. Es war spannend, verschiedenste Konfliktgebiete, in denen die anderen Teilnehmenden aktiv sind, kennenzulernen. Ich habe gelernt, wie wichtig es ist, sensibel mit Konflikten umzugehen – auch in meiner eigenen Projektarbeit. In unserer täglichen Arbeit beschäftigen wir uns zwar bereits viel mit der Durchführung und Auswertung von Projekten, aber manchmal haben wir trotzdem blinde Flecke. Der Kurs hat mir bewusst gemacht, dass manche Konflikte nicht auf den ersten Blick erkannt werden können. Ich fand auch den Gedanken interessant, dass die Abwesenheit von Krieg nicht gleichbedeutend ist mit Frieden – so hatte ich darüber noch nie nachgedacht. Und nicht zuletzt hat der Kurs auch meinen Blick auf Selbstfürsorge verändert. Davor habe ich zum Beispiel im Urlaub meinen Schreibtisch aufgeräumt. Jetzt weiß ich, dass ich diese Zeit bewusst außerhalb der Arbeit verbringen sollte, um neue Energie und Kraft zu sammeln.

Selbstfürsorge ist ein gutes Stichwort – schließlich sind Sie in Ihrer Arbeit mit vielen schwierigen Themen konfrontiert. Zum Beispiel berichten Ihnen Ihre Klientinnen von traumatischen Erfahrungen. Wie gehen Sie damit um?

Wir bieten unseren Klientinnen immer psychosoziale Unterstützung an. Unsere Arbeit ist sehr viel leichter, wenn die Klientinnen mental gesund sind. Doch leider sind psychische Probleme immer noch ein Tabuthema in Kenia. Betroffene schämen sich und identifizieren sich ungern damit. Meiner Meinung nach ist es ganz zentral, sich solcher Probleme bewusst zu werden, um Hilfe erhalten und annehmen zu können. Wir haben in unserem Team auch Methoden entwickelt, um auf unser eigenes Wohlbefinden zu achten. Zum Beispiel treffen wir uns regelmäßig zu Auswertungen und Nachbesprechungen. Wir versuchen, füreinander da zu sein. Kommunikation ist dabei ganz wichtig.

Für ihren Einsatz für Gleichberechtigung erhielt Janet Anyango am Weltfrauentag 2023 ein Zertifikat von der Bezirksregierung Kisumu.

Was gibt Ihnen trotz der Herausforderungen die Kraft, Ihre Arbeit fortzusetzen?

Wir haben in Kenia sehr fortschrittliche Gesetze. Deshalb habe ich Vertrauen in unser Justizsystem. Gerichte sind verpflichtet, auf die Möglichkeit der alternativen Rechtsprechung hinzuweisen. Das ermutigt mich. Mein Highlight jedoch ist es, Klientinnen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Ich glaube nicht, dass irgendeine andere Tätigkeit mich so erfüllen könnte: Unsere Arbeit bewirkt, dass sich Menschen nicht länger hilflos fühlen. Wir geben ihnen neue Perspektiven. So gelingt es uns, Menschen von der Relevanz der Friedensförderung, Vermittlung und Schlichtung zu überzeugen. Solche Auswirkung auf das Leben anderer zu haben, motiviert mich ungemein.

Das Gespräch führte Merle Jakobus.

Die Akademie für Konflikttransformation
Die Akademie des forumZFD ist ein Lernort für professionelle, internationale Friedens- und Konfliktarbeit. Seit 1997 bilden wir Fachkräfte in Ziviler Konfliktbearbeitung aus. Unsere Bildungsarbeit basiert auf der Überzeugung, dass gewaltfreie, konstruktive Konfliktbearbeitung lehr- und erlernbar ist. Unsere Absolvent*innen leisten wichtige Beiträge auf dem Weg zu einer Gesellschaft, die Konflikte gewaltfrei bearbeitet. Sie sind international und in allen Tätigkeitsbereichen der Friedens- und Konfliktarbeit im Einsatz.