Friedenslogik statt Sicherheitslogik

Warum ein gerechter Frieden durch sicherheitslogische Politik nicht erreichbar ist

Die Spannung zwischen Sicherheitspolitik und Friedenspolitik ist hochaktuell. Während in Äußerungen der Bundesregierung Sicherheit und Frieden oft nebeneinanderstehen, gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen einer politischen Logik, die im Kern auf Sicherheit setzt, und einer solchen, die auf Frieden baut.
Palästinensische Frauen warten an einem Checkpoint in der Altstadt von Hebron
© forumZFD/Sandra Konold

„Es gibt keinen Weg zum Frieden auf dem Weg der Sicherheit. Denn Friede muss gewagt werden, ist das eine große Wagnis , und lässt sich nie und nimmer sichern. Friede ist das Gegenteil von Sicherung. Sicherheiten fordern heißt Misstrauen haben, und dieses Misstrauen gebiert wiederum Krieg.“ - Dietrich Bonhoeffer

Frieden ist per definitionem immer nur miteinander möglich. Es handelt sich um ein inklusives Konzept, um soziale Beziehungen mit möglichst wenig Gewalt. Sicherheit als menschliches Grundbedürfnis definiert sich dagegen als Sicherheit vor etwas, ist also ein exklusives Konzept, das auf die Abwehr von Bedrohungen ausgerichtet ist.

Diese klare Unterscheidung zwischen Frieden und Sicherheit liegt dem Konzept der Friedenslogik zugrunde. Es geht zum einen auf die Lehren aus der Politik der Abschreckung mit Atomwaffen während des Kalten Kriegs zurück. Die damalige Logik der Abschreckung hat die Menschheit der eigenen Vernichtung nahe gebracht. Zum anderen bezieht sie sich auf das ökumenische Leitbild vom gerechten Frieden. Friedenslogik fragt danach, wie Frieden entwickelt werden kann. Daraus leitet sich auch ein alternatives politisches Programm ab - friedenslogische Politik.

Abschreckung und Aufrüstung ...

Sicherheits- und Friedensperspektive folgen unterschiedlichen Handlungslogiken: Ist der Ausgangspunkt die Abwehr einer Bedrohung, sind das Problem und seine Ursache auf der Gegenseite, der Quelle des Problems verortet. Um sich selbst zu schützen, muss man sich wappnen. Aufrüstung, Abschreckung, Drohungen und notfalls Gewalt können notwendig werden, um die eigene Sicherheit zu verteidigen. Reicht dies nicht aus, hilft nur weitere Eskalation. Dieses Vorgehen verfestigt Feindbilder.

... oder Kooperation und gemeinsame Werte

Wenn umgekehrt der Ausgangspunkt die Überwindung von Gewalt in den sozialen Beziehungen ist, dann orientieren sich die Handlungen an der Prävention und Gewaltminderung. Das Problem der Gewalt kann zumeist nicht klar auf einer Seite verortet werden, sondern erfordert eine Analyse, die auch die eigene Rolle und Verantwortung in den Blick nimmt. Auf dieser Grundlage wird eine kooperative Problemlösung mit den Beteiligten angestrebt. Als Basis dient eine wechselseitige Anerkennung und eine daraus folgende gemeinsame Werteorientierung – etwa an den Menschenrechten.

Friedenslogik will Schutz vor Gewalt erreichen, allerdings nicht auf paradoxe Weise durch Androhung oder Anwendung von Gegengewalt, sondern durch kooperative Beziehungen und den Abbau von Feindbildern.

Friedenslogik in Rohstoffkonflikten

Am Beispiel Konfliktursache Rohstoffe wird der Gegensatz von Sicherheits- und Friedenslogik deutlich. Aus sicherheitslogischer Perspektive geht es um die Gefährdung der Versorgung unserer Wirtschaft mit wichtigen Rohstoffen. Kriege, Piraten und uns nicht wohlgesonnene Regierungen gefährden unseren Rohstoffzugang. Gegen diese Bedrohung müssen wir uns wehren. Wenn der freie Handel nicht auf diplomatischem Weg und mit internationalen Vereinbarungen gesichert werden kann, erhöhen wir den Druck und sichern zum Beispiel die Seewege militärisch.

Friedenslogik hat eine andere Perspektive. Es geht um die Gewalt, die mit der Ausbeutung von Rohstoffen verbunden ist: Der Rohstoffhunger der globalen Wirtschaftszentren heizt die Konflikte um die Kontrolle über Bergwerke und Handelswege an; rohstoffreiche Staaten werden oft autoritär regiert; die rücksichtslose Ausbeutung zerstört die Umwelt. Friedenslogik fragt nach unserer Rolle: Unsere Exportwirtschaft hat eine hohe Nachfrage nach Rohstoffen, unsere Banken finanzieren den Rohstoffmarkt, als mächtiger Staat gestalten wir die Rahmenbedingungen der globalen Wirtschaft mit. Schließlich sucht Friedenslogik nach global verträglichen Lösungen:

Arbeiter in einer Coltan-Mine in der Demokratischen Republik Kongo. Der Kampf um Rohstoffe ist der wichtigste Konflikttreiber in der Region.

 

Erforderlich sind demnach Aushandlungsprozesse über die Bedingungen des Rohstoffabbaus mit allen Beteiligten auf Basis der Menschenrechte. Die Übertragung der Umweltkosten auf die Unternehmen hilft, eine übermäßige Ausbeutung zu überwinden.

Eine Politik, die sicherheitslogisch vorgeht, bindet ungeheure Ressourcen, fördert die Sicherheitslogik bei anderen, kann das zugrundeliegende Problem verschärfen und zu gewaltsamen Eskalationen führen. Damit wirdeine friedenslogische Entwicklung erschwert.

Wege aus der Sicherheitslogik

 Mehr Friedenslogik, weniger Sicherheitslogik

Je mehr und je früher Friedenslogik verwirklicht wird, desto geringer wird der Bedarf an Sicherheitslogik. So könnten ohne weiteres bestehende wirksame Institutionen der zivilen Konfliktbearbeitung gestärkt und ausgebaut werden. Umgekehrt gilt: Je mehr die Sicherheitslogik vorherrscht, umso geringer sind die Aussichten auf einen gerechten Frieden.

Sicherheitsbedürfnis berücksichtigen

Das menschliche Grundbedürfnis nach Sicherheit darf nicht ignoriert werden, sondern muss auch von einer friedenslogischen Politik ernst genommen werden. Das Streben nach Sicherheit wird andauern, und Gewalt in der Politik wird in absehbarer Zeit nicht überwunden werden. Der Sicherheitsdiskurs sollte allerdings begrenzt werden, etwa auf Fragen, wie bei Krieg und Völkermord noch mehr Gewalt verhindert werden kann.

Friedensverträgliche Sicherheitspolitik

Eine friedensverträgliche Sicherheitspolitik muss der Friedenslogik untergeordnet werden. In diesem Sinne ist eine „friedenslogische Sicherheit“ denkbar, ein "sicherheitslogischer Frieden“ jedoch nicht. Hier sind insbesondere das internationale Recht und eine Stärkung der Vereinten Nationen zu nennen. Sicherheit sollte nicht nur national gedacht werden, sondern als menschliche Sicherheit, in deren Zentrum der einzelne Mensch steht, und zugleich regional und global im Sinne gemeinsamer Sicherheit.

Dr. Martin Quack ist Mitglied des forumZFD und war drei Jahre für das forumZFD als Friedensfachkraft im Kosovo tätig. Heute arbeitet er als freier Berater für humanitäre Hilfe und Zivile Konfliktbearbeitung.

Der Beitrag ist eine überarbeitete Fassung eines Artikels, der erstmals in SYM 4/2017, dem Magazin der Evangelischen Akademie Bad Boll, erschienen ist. Er greift auf Publikationen zur Friedenslogik von Hanne-Margret Birckenbach und Sabine Jaberg zurück.

Die Grafik "Friedenslogik auf einen Blick" ist dem Faltblatt "Friedenslogik weiterdenken" der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung entnommen.

 

Mehr Informationen zum Thema:

Projekt „Friedenslogik weiterdenken“

Die Plattform Zivile Konfliktbearbeitung setzt sich für die Entwicklung der Friedenslogik ein. Das Projekt „Friedenslogik weiterdenken – Dialoge in Friedensarbeit und Politik“ diskutiert Alternativen zu einer Politik der Drohung, Abschottung und des „Weiter so“. Es geht um einen Paradigmenwechsel von der Sicherheitslogik zur Friedenslogik. Im Rahmen des Projekts sind mehrere Publikationen zur Friedenslogik entstanden, die über die Website abrufbar sind. www.konfliktbearbeitung.net/friedenslogik

Wissenschaft und Frieden. Dossier Nr. 75.

Friedenslogik statt Sicherheitslogik. Theoretische Grundlagen und friedenspolitische Realisierung www.wissenschaft-und-frieden.de (s. Dossier Archiv Nr. 75)

Friedenslogik auf der Münchner Sicherheitskonferenz

Ein besonders ambitioniertes Projekt zur Verbreitung der Friedenslogik hat im Jahr 2004 eine Gruppe aus der Münchner Friedensbewegung gestartet. Sie setzt sich dafür ein, dass aus der Münchner Sicherheitskonferenz eine Konferenz für Friedenspolitik wird. Die Gruppe nennt sich programmatisch ‚Münchner Sicherheitskonferenz verändern‘. Sie will Form und Inhalte der Münchner Sicherheitskonferenz so verändern, dass von ihr ein gewaltfreies politisches Denken und Handeln ausgeht, das von der Sorge für Frieden, Gerechtigkeit, sozialen Ausgleich und ökologische Nachhaltigkeit für alle Menschen und Völker geprägt ist.

Die Münchner Sicherheitskonferenz startete 1963 als Internationale Wehrkunde-Begegnung und ist bei allen Veränderungen bis heute in erster Linie ein Forum, das von Sicherheitspolitikern, Rüstungslobbyisten und Militärs – es sind tatsächlich wenige Frauen unter den Gästen – der NATO-Staaten dominiert wird. Alljährlich wird sie von Protesten und Demonstrationen gegen die Kriegs- und Rüstungspolitik der NATO-Staaten begleitet.

Aktivisten inszenieren eine Begegnung des nordkoreanischen Staatsoberhaupts Kim Jong-un mit US-Präsident Donald Trump auf einer Anti-Atomwaffen-Demo in Berlin.

 

Eine Veränderung der Sicherheitskonferenz zur Friedenskonferenz durch Dialog, wie es die Münchner Friedensgruppe anstrebt, scheint ein beinahe aussichtsloses Unterfangen. „Unsere Vision einer Münchner Konferenz für Friedenspolitik ist ein langfristiges Ziel. Auf dem Weg brauchen wir viele kleine Schritte der Veränderung“, ist sich der Vorsitzende Thomas Mohr bewusst.

Eine Reihe solcher kleiner Schritte hat die Gruppe tatsächlich schon geschafft, sagt der Vorsitzende Thomas Mohr.: „Seit mehreren Jahren führen wir einen Dialog mit dem Konferenzleiter Wolfgang Ischinger. Sein Vorgänger hatte unsere Gesprächsangebote regelmäßig abgewiesen.“ Außerdem nehmen inzwischen zwei von der Gruppe entsandte Beobachter oder Beobachterinnen an der Konferenz teil. Ihre Berichte ergänzen die offizielle Presseberichterstattung zur Konferenz um Perspektiven aus der Friedensbewegung.

„Gemeinsam mit dem forumZFD konnten wir auf der Sicherheitskonferenz mit eigenen sogenannten Side-Events friedenslogische Alternativen vorstellen, zum Beispiel die Arbeit des forumZFD oder das zivile Peacekeeping der Nonviolent Peaceforce“, erklärt Thomas Mohr.

Trotz der kleinen Fortschritte, die die Gruppe erreicht hat, bleibt Mohr kritisch. „Wir beobachten eine Doppelgesichtigkeit der Münchner Sicherheitskonferenz: Einerseits bietet sie tatsächlich mehr Begegnungen jenseits der NATO-Staaten mit afrikanischen und asiatischen Politikern und Nichtregierungsorganisationen. Andererseits bleibt sie eine, wenn auch subtilere, Propagandaveranstaltung für militärische Sicherheit.“ Unvergessen ist auch für Thomas Mohr und seine Gruppe die Empörung über Bundespräsident Gauck, der 2014 die Bühne der Münchner Sicherheitskonferenz nutzte, um die Deutschen von mehr militärischem Engagement in der Welt zu überzeugen.

Doch sie lassen nicht nach: Für die Konferenz im Februar 2018 schlugen sie Konferenzleiter Ischinger vor, Vertreter der USA und Nordkoreas an einen Tisch zu bringen, um den Atomkonflikt beizulegen. Es bleibt zu hoffen, dass die Konferenz auch in Zukunft solche Vorschläge der Gruppe aufnimmt.

Weitere Informationen: www.mskveraendern.de

Dieser Artikel erschien im MAGAZIN 1-2018. Unter diesem Link finden Sie weitere Artikel dieser Ausgabe.