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Über Frieden sprechen, aber wie?

Impulse für die deutsche Debatte zum Krieg gegen die Ukraine

Wir sind deutsche Organisationen der zivilen Konfliktbearbeitung und Friedensarbeit, die seit vielen Jahren auch in der Ukraine oder im ukrainisch-russischen Dialog aktiv sind. Wir sind solidarisch mit unseren Partner*innen aus der Ukraine, die sich im Widerstand gegen den Angriff der Russischen Föderation befinden. Unsere Solidarität gilt auch jenen Menschen in Russland und Belarus, die sich gegen den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine engagieren.
Peace is not everything, but everything is nothing without peace
© forumZFD

Uns verbindet die Sorge, dass

  • Solidarität und Hilfsbereitschaft für die Menschen in der Ukraine schwinden,
  • in der hochgradig polarisierten deutschen Debatte über den Krieg der gegenseitige Respekt für unterschiedliche Perspektiven verloren geht und Engagement für Frieden zunehmend diskreditiert wird,
  • der Fokus auf das Militärische dazu führt, dass andere Handlungsoptionen zu wenig Aufmerksamkeit erhalten, die Zivilgesellschaft im Krieg kaum Beachtung findet und Spielräume für Diplomatie nicht ausreichend genutzt werden.

In der deutschen Gesellschaft sind unterschiedlichste Positionen und Perspektiven zum Krieg vertreten. Waffenlieferungen und Verhandlungen werden häufig als gegensätzliche Alternativen dargestellt. Diese Engführungen helfen unserer Ansicht nach nicht weiter, denn sie blenden wesentliche Handlungsoptionen aus, die zu einer Minderung der Gewalt und ihrer Folgen, der Beendigung des Krieges und langfristigen Friedensperspektive beitragen können.

Mit dieser Erklärung wollen wir Impulse für eine konstruktive und respektvolle Diskussionskultur über Solidarität im Krieg und Wege zum Frieden geben.

  1. Es beginnt mit Empathie. Das Gespräch über Krieg und Frieden muss von einer empathischen Haltung getragen werden. Die Kämpfe dauern an, jeden Tag sterben Menschen. Es ist jetzt für Ukrainer*innen enorm wichtig, dass wir ihr Leid anerkennen, dass sie Gehör und Unterstützung finden. Auch Russ*innen, die sich der Kriegslogik entgegenstellen, verdienen unsere Solidarität. Einen generellen Boykott russischer Kultur und Menschen in Deutschland lehnen wir ab. Wir halten auch die an Menschenrechten und Demokratie orientierte russische und belarussische Zivilgesellschaft bei allen Bemühungen um Deeskalation und Frieden für wichtige Akteure. Große Teile der ukrainischen Zivilgesellschaft sehen ukrainisch-russische Dialoge in der aktuellen Situation kritisch oder lehnen sie ab. Wir respektieren diese Haltung. Zugleich können vorhandene oder von allen Beteiligten gewünschte Gesprächskanäle, Dialoge oder Zusammenarbeit auch aktuell helfen, Kriegsfolgen zu mindern und Zukunftsperspektiven zu entwickeln.
     
  2. Mit Ukrainer*innen reden statt über sie. Wenn wir in Deutschland über den Krieg sprechen oder Forderungen formulieren, dann sollten wir den ernsthaften Dialog mit Menschen aus der Ukraine suchen. Sie sind dem Krieg ausgesetzt und ihre Stimmen müssen Gehör finden, wenn darüber gesprochen wird, wie dieser Krieg beendet werden könnte. Einen dauerhaften Frieden kann es nicht über die Köpfe der Menschen des Landes hinweg geben, die jetzt von diesem russischen Angriffskrieg betroffen sind.
     
  3. Die Zivilgesellschaft muss stärker in den Fokus rücken. Sie ist eine unverzichtbare Akteurin, sowohl jetzt im Krieg als auch für eine Friedensperspektive. Der starke Zusammenhalt der ukrainischen Gesellschaft ist beeindruckend und entscheidend dafür, dass die Menschen in der Ukraine seit mehr als einem Jahr dem russischen Angriffskrieg widerstehen können. Der Geist der Solidarität und Freiwilligkeit sollte unbedingt bewahrt werden. Daher steht die ukrainische Zivilgesellschaft weiterhin im Mittelpunkt unserer Unterstützung. Die aktive Beteiligung zivilgesellschaftlicher Gruppen ist zudem entscheidend für jegliche zukünftige Verhandlungs- und Friedensprozesse. Das gilt ebenso für das internationale Engagement beim Wiederaufbau der Ukraine: Auch hier muss die ukrainische Zivilgesellschaft substantiell beteiligt werden.
     
  4. Ungehörte Perspektiven in der Debatte über den Krieg einbeziehen. Unser Bild des Krieges ist zwangsläufig einseitig und ausschnitthaft. Die Logik des Krieges dominiert längst auch den öffentlichen Diskurs in Deutschland. Im Mittelpunkt stehen das Militärische, die Gewalt und ausgrenzende Dichotomien von Gut und Böse, Freund und Feind. Wir halten es für wichtig, in der Debatte die Aufmerksamkeit auf die Menschen zu lenken, die nicht sichtbar sind und kaum Gehör finden. Das gilt zum Beispiel für ukrainische Männer, die geflohen sind oder den Kriegsdienst verweigern. Dazu zählen Ukrainer*innen, die vor den Kämpfen in die Russische Föderation geflohen sind oder dorthin verschleppt wurden. Und es gilt für Menschen, die unter russischer Besatzung leben. Aus diesen Gebieten gibt es kaum Berichte, ihre Perspektiven auf den Krieg finden kaum Gehör.
     
  5. Russland hat diesen Krieg begonnen und kann ihn beenden. Dies sagen wir unmissverständlich: Russland hat diesen Krieg 2014 begonnen. Die Entscheidung für den Angriff auf die gesamte Ukraine im Februar 2022 hat allein die Regierung der Russischen Föderation getroffen. Sie hat die Möglichkeit, diesen Krieg zu beenden, indem sie alle Angriffe einstellt und ihre Truppen vom gesamten Staatsgebiet der Ukraine in ihren international anerkannten Grenzen zurückzieht.
     
  6. Es ist Aufgabe der Diplomatie, Wege aus der Eskalationsspirale und zur Beendigung des Krieges auszuloten. Zu ausgewählten humanitären Fragen fanden und finden bereits Verhandlungen statt, etwa zu Gefangenenaustauschen, Schutzzonen für Atomkraftwerke oder Getreideexporten. Die Bundesregierung sollte solche Verhandlungsformate unterstützen. Auch wenn noch keine Friedensverhandlungen stattfinden, ist es Aufgabe der Diplomatie, diese bestmöglich vorzubereiten und mit Partner*innen abzustimmen. Langfristig werden dabei auch Fragen einer zukünftigen europäischen Sicherheits- und Friedensarchitektur zu verhandeln sein, die über den aktuellen Krieg gegen die Ukraine hinausgehen.
     

  7. Die Gefahr einer Ausweitung und nuklearen Eskalation des Krieges ernst nehmen. Dieses Risiko muss im öffentlichen Diskurs besprechbar sein und darf nicht zur weiteren Polarisierung der Debatte genutzt werden – etwa durch den Vorwurf des unsolidarischen Handelns oder der Übernahme russischer Propaganda. Es gibt keine moralisch einwandfreien Antworten auf die Frage, wie sehr dieses Eskalationsrisiko das Handeln des Westens bestimmen darf. Vielmehr spielen ethische Dilemmata eine Rolle, die als solche benannt werden sollten.
     

  8. Die Wende in der deutschen Sicherheitspolitik weiter kritisch hinterfragen. Seit der „Zeitenwende-Rede“ des Bundeskanzlers am 27.02.2022 vollzieht sich mit großer Geschwindigkeit ein Kurswechsel in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik, die Aufrüstung und Abschreckung in den Mittelpunkt stellt. Wir fürchten, dass Diplomatie und zivile Handlungsmöglichkeiten für Frieden, in der Ukraine und in anderen Konflikten, zu wenig unterstützt und eingesetzt werden. Als Friedensorganisationen werden wir das Handeln der Bundesregierung und ihrer Verbündeten weiter kritisch hinterfragen.

 

HERAUSGEBENDE

Berlin Center for Integrative Mediation e. V.
www.cssp-mediation.org

Forum Ziviler Friedensdienst e. V. (forumZFD)
www.forumZFD.de

inmedio peace consult ggmbh
www.inmedio.de

KURVE Wustrow – Bildungs- und Begegnungsstätte für gewaltfreie Aktion e.V.
www.kurvewustrow.org

OWEN – Mobile Akademie für Geschlechterdemokratie und Friedensförderung e. V.
www.owen-berlin.de
 

 

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