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Mehr als ein Dach über dem Kopf

Besuch bei den „Frauen für Entwicklung“ im Libanon

Alle Fenster und Balkontüren stehen offen. Die kalte Januarluft dringt ein. Es riecht nach Putzmittel. In den Räumen von „Women Now for Development“ (Frauen für Entwicklung jetzt) herrscht ein großes Reinemachen. Die Englischlehrerin Khaula Abdelwahid wischt Tische ab. Anschließend steckt sie schwarze Mülltüten in rote Plastikeimer und verteilt sie auf verschiedene Räume.
Grenzgebirge Syrien Libanon
© Mona Naggar

In der Küche diskutiert derweil Amani Burhan, die Leiterin des Zentrums, mit zwei Handwerkern Ausbesserungsarbeiten an einigen Fenstern. Die Begegnungsstätte liegt in einem mehrstöckigen Gebäude am Ortsausgang von Chtoura, einer geschäftigen Kleinstadt in der Bekaa-Ebene im Osten des Libanon. Bis zur syrischen Grenze sind es von hier nur noch 26 Kilometer.

Eigentlich sollten um diese Tageszeit die Räume voller Leben sein: Frauen besuchen Englisch- oder Computerkurse, benutzen die Bibliothek, machen einen Erste-Hilfe-Kurs oder trinken Kaffee in der Wohnküche. Pro Tag besuchen ungefähr 30 Frauen das Zentrum. Aber „Women Now“ hat seinen normalen Betrieb für einige Tage unterbrochen. Heftige Unwetter wüteten Anfang Januar im Libanon. Die informellen Unterkünfte vieler
syrischen Flüchtlinge hielten dem starken Regen und Schnee nicht Stand. Plastikplanen rissen und Böden wurden überschwemmt.

Lokale Organisationen öffneten daraufhin ihre Räume für Flüchtlinge. Auch bei „Women Now“ kamen 100 Menschen unter. „Unser Vermieter war zunächst gar nicht begeistert. Aber wir konnten ihn beschwichtigen“, erzählt Amani Burhan. Vor ein paar Tagen zogen die Gäste wieder aus, und die Mitarbeiter der Organisation bereiten sich nun auf den normalen Tagesbetrieb vor.

Vertrauen steht im Mittelpunkt

„Women Now“ ist eine libanesische Organisation mit syrischen Wurzeln. Sie arbeitet in beiden Ländern und konzentriert sich auf die Förderung von Frauen. Die Organisation arbeitet mit „House of Peace“ (kurz: HoPe) zusammen, einem Partner des forumZFD. „Women Now“ schafft für Frauen einen sicheren Ort. „Eine vertrauensvolle Beziehung zur Umgebung ist sehr wichtig. Nur so können wir die Frauen, die zu uns kommen, auch unterstützen“, sagt Burhan. Vertrauen, Reden und Zuhören stehen dabei im Mittelpunkt.

Eine der Frauen, die zu „Women Now“ gehen, ist Oula Alyan. Vor vier Jahren musste die 30-jährige Syrerin in den Libanon flüchten. Nun besucht sie bei „Women Now“ Workshops zu Partizipation. Die Themen des Workshops sind vielfältig: Um die Führungsqualitäten der Frauen zu fördern, erhalten sie Schulungen zu Menschen- und Frauenrechten, Genderfragen, aber auch zu Verhandlungsführung und Kommunikation.

Für Oula Alyan ist das Frauenzentrum in Chtoura ein Ort zum Wohlfühlen: „Ich spüre keinerlei Hemmungen und konnte über so vieles sprechen, über meine Erfahrungen und über private Dinge.“ Dank der Unterstützung der Trainerinnen konnte Oula Alyan an einem weiterführenden Workshop in Beirut teilnehmen.

Auch der Zugang zu Bildung gehört zu den Arbeitsschwerpunkten der "Frauen für Entwicklung jetzt".

Im Gang hängt ein riesiges buntes Plakat. Auf blauem Untergrund haben syrische Kinder etwas Besonderes aus ihren Heimatregionen gemalt – ein römischer Bogen aus der Umgebung von Aleppo, Weizenhalme aus dem Osten des Landes, eine Skulptur, die auf dem zentralen Umayyaden-Platz in Damaskus steht. Noch mehr Kinder­zeichnungen hängen im Raum, der für die Kinderbetreuung bestimmt ist. Hier können die Frauen während der Kurse ihre Kinder unterbringen.

Nicht nur für Syrerinnen

Khaula Abdelwahid, Libanesin aus Baalbek, leitet einen der vielen Englischkurse. Sie erklärt, dass sie libanesische, syrische und palästinensische Frauen im Alter zwischen 18 und 45 Jahren unterrichtet: „Die Frauen möchten wissen, was ihre Kinder auf Englisch in der Schule lernen. Auch im Alltag ist Englisch hier wichtig. Einige hoffen, dass sie die Sprache in ihrer Arbeit einsetzen können.“

Khaula Abdelwadid ist Libanesin und unterrichtet syrische Frauen in Englisch.

Im Büro hat Amani Burhan den Ölofen an- gemacht. Bei einer Tasse Tee erzählt die 33-Jährige, wie sich die Organisation dem libanesischen Umfeld immer mehr geöffnet habe. Burhan stammt aus Zabadani, einer Stadt unweit von Damaskus. Vor über zwei Jahren musste sie ihre Heimat verlassen.

Die Aktivitäten von „Women Now“ waren nie ausschließlich auf Syrerinnen fixiert, sagt sie. Trotzdem bestanden die Teilnehmerinnen der Kurse zu Beginn vorwiegend aus syrischen Flüchtlingen. Auch die Mitarbeiterinnen waren ausschließlich Syrerinnen, obwohl die nationale Zugehörigkeit kein Kriterium bei der Anstellung war. Beides hat sich nun geändert. Zwei von 15 Mitarbeiterinnen in Chtoura sind Libanesinnen. Die Zahl der einheimischen Frauen, die an den Angeboten des Zentrums teilnehmen, hat auch zugenommen: „Die Libanesinnen kommen, testen unser Angebot, sind zufrieden und bleiben.“

Sensibel für Konflikte

Eine entscheidende Rolle bei der größeren Öffnung zur Gastgebergesellschaft spielte die Zusammenarbeit mit HoPe. Sie gehört zu den wenigen Organisationen im Libanon, die ihren Schwerpunkt auf den sensiblen Umgang mit Konflikten legt. Denn nicht immer bedenken die Angehörigen lokaler und internationaler Organisationen die Auswirkungen ihrer Projekte und Hilfsmaßnahmen: Diese können ungewollt zu Konflikten führen.

In den Workshops von HoPe hinterfragen die Vertreterinnen und Vertreter der Organisationen die positiven und negativen Auswirkungen ihrer Arbeit. Sie analysieren die Umgebung, in der sie arbeiten, und lernen, sensibel mit Konflikten, die dort vorkommen, umzugehen. Auch werden Möglichkeiten entwickelt, die Programme und internen Strukturen der teilnehmenden Organisationen an die Ergebnisse der Analyse anzupassen.

Ali Msarrah arbeitet für „House of Peace“. Der 38-jährige libanesische Trainer hat viele Jahre für internationale humanitäre Organisationen im Nahen Osten und Afrika gearbeitet. Er hat erlebt, wie gut gemeinte Projekte in der Gesellschaft Schaden anrichten, etwa wenn in einer Krisensituation Hilfe nur einer bestimmten Gruppe von Menschen zugewiesen wird. Die Folge sind Spannungen zu Gruppen, die keine Hilfe bekommen.

Seine Erfahrungen haben ihn darin bestärkt, sich intensiv mit Konfliktsensitivität auseinanderzusetzen. Eigentlich gehe es darum, das Prinzip des „Do-No-Harm“ (Richte keinen Schaden an) mit Leben zu füllen. Das sei zwar das Leitprinzip aller Nichtregierungsorganisationen in Krisengebieten, nur schlage es sich nicht immer in der Praxis nieder. Msarrah stellte fest, dass die überwiegende Mehrheit der Mitarbeitenden von Hilfsorganisationen im Libanon und Syrien noch nie von Konfliktsensitivität gehört hatte.

Syriens Grenze ist nur wenige Kilometer von Chtaura entfernt.

Lage im Libanon bleibt fragil

Im Libanon herrscht eine besonders fragile Situation. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks leben im Zedernstaat eine knappe Million registrierte syrische Flüchtlinge. Das sind ungefähr 16 Prozent der Bevölkerung. Die meisten von ihnen haben sich in den Grenzgebieten im Norden und Osten des Landes, in der Bekaa-Ebene, niedergelassen. Diese Gebiete gehören zu den ärmsten Regionen des Landes. Hohe Arbeitslosigkeit, schlechte Wasser- und Elektrizitätsversorgung gehören hier zum Alltag.

Die Englischlehrerin Khaula Abdelwahid aus Baalbek erzählt, dass viele Libanesen in ihrer Stadt wütend auf syrische Flüchtlinge seien: Sie werfen ihnen vor, für weniger Geld zu arbeiten und ihnen Arbeitsplätze wegzunehmen. Wer in diesem Umfeld Projekte umsetzt, muss sich dieser Lage bewusst sein und sensibel mit allen Beteiligten umgehen.

Ali Msarrah führte mit dem Team von „Women Now“ einen mehrtägigen Workshop zu Konfliktsensitivität durch. Als Erstes analysierten die Mitarbeiterinnen das direkte Umfeld, den Kontext, in dem sie arbeiten. „Wir malten eine Karte von unserer Umgebung und überlegten uns, mit wem wir kommunizieren und mit wem nicht. Wir stellten beispielsweise fest, dass wir mit libanesischen Organisationen aus unserer Nachbarschaft gar keinen Kontakt aufgenommen hatten. Das haben wir dann nachgeholt. Vielleicht ergeben sich ja Möglichkeiten der
Zusammenarbeit“, schildert Amani Burhan.

Die "Frauen für Entwicklung jetzt" bilden in Chtaura Frauen in Partizipation aus.

Danach ging es um die Beziehung zur Stadtverwaltung: „Der Bürgermeister von Chtoura besuchte uns. Wir hatten irgendwie ein mulmiges Gefühl dabei. Wir wussten nicht, wie wir das einschätzen sollten, und fragten uns: Warum macht er das? Aber dann haben wir uns in seine Lage versetzt und überlegt, was wir an seiner Stelle gemacht hätten.“ Diese Überlegungen haben die Beziehung zur Stadtverwaltung entkrampft.

„Women Now“ beschäftigte sich auch eingehend mit den Frauen, die zu ihnen kommen. Dabei stellte sich heraus, dass einige Wohngegenden unsicher sind. Das betrifft etwa die Ortschaften östlich von Chtoura, wo die Kriminalität hoch ist: „Wir stellten deswegen Transportmöglichkeiten für die Frauen ins Zentrum zur Verfügung.“

Der Einfluss von Sprache

Ein großes Diskussionsthema bei „Women Now“ ist die Sprache und welche Botschaften sie vermittelt. In den sozialen Netzwerken der Organisation war früher immer von „Syrerinnen“ die Rede, wenn es um die Aktivitäten des Zentrums ging: „Wir haben diese Bezeichnung durch die Beschreibung syrische, libanesische und palästinensische Frauen ausgetauscht. Aber andere Nationalitäten könnten sich ja dadurch auch ausgeschlossen fühlen. So benutzen wir jetzt nur noch den Begriff ‚Frauen‘. Alles andere könnte für Spannungen sorgen.“

Nach dem Workshop mit „House of Peace“ haben die Mitarbeiterinnen der Frauenorganisation Änderungen bei der Programmplanung vorgenommen. „Bei der Planung unserer Aktivitäten fragen wir nun viel stärker als früher nach den Bedürfnissen der Frauen. Früher haben wir das nur auf einer sehr allgemeinen Ebene gemacht. Nun passen wir unsere Aktivitäten ihren Wünschen an.“ Im Zentrum gibt es nun weiterführenden Englischunterricht und nicht nur Anfängerkurse. Bei den Workshops zu gesundheitlicher Aufklärung wurden Erste-Hilfe-Kurse integriert, ebenfalls ein Wunsch der Frauen. „Zunächst gab es Widerstand der Geldgeber. Aber wir konnten sie überzeugen“, erläutert Amani Burhan.

Bei den "Frauen für Entwicklung jetzt" kommen Syrerinnen, Libanesinnen und Palästinenserinnen zusammen und überwinden ihre Vorurteile.

„Wir legen unseren Fokus auf die menschliche Seite. Das funktioniert“, fasst Burhan die Stimmung zwischen den syrischen Flüchtlingen und den Libanesen zusammen. Das gelungene Miteinander bei „Women Now“ lässt sich jedoch nicht auf die Beziehungen zwischen beiden Seiten verallgemeinern. Im täglichen Leben außerhalb des Frauenzentrums sieht die Situation anders aus. Amani Burhan berichtet von Polizeirazzien gegen syrische Geschäfte in ihrem Wohnort Bar Elias, einem Städtchen in der Nähe von Chtoura. Oula Alyan erzählt von abschätzigen Blicken, denen sie bei ihrer letzten Reise nach Beirut ausgesetzt war. Aufgrund ihrer Kleidung wird sie als Syrerin erkannt.

„Die Syrerinnen und Syrer sind täglich Druck ausgesetzt. So werden etwa syrische Geschäfte geschlossen oder die Verlängerung ihrer Aufenthalte verweigert – obwohl die erforderlichen Papiere vollständig sind. Das lässt sie an Rückkehr denken“, sagt Amani Burhan. Auch das Unwetter im Januar, das syrische Flüchtlinge gezwungen hat, ihre Unterkünfte zu verlassen, bekräftigte die Überlegungen einiger Menschen, in ihre Heimat zurückzugehen. Wie viele tatsächlich diesen Schritt unternehmen, ist nicht bekannt. Zuverlässige Zahlen gibt es nicht. Auch gesicherte Informationen über das Schicksal der Rückkehrer existieren nicht. An Rückkehr denken Amani Burhan und Oula Alyan nicht. Die
Gefahr, in Syrien verfolgt zu werden, ist zu groß.

Für Ali Msarrah von „House von Peace“ ist das Glas der syrisch-libanesischen Beziehungen halbvoll. Es gäbe zwar große Spannungen zwischen beiden Seiten und politische Hetze gegen Flüchtlinge, aber die Lage bleibe stabil: „Die schönen Geschichten überwiegen. Ich könnte 200 Geschichten von Libanesen erzählen, die Syrern helfen oder umgekehrt. Die werden nicht an die große Glocke gehängt. Aber eine schlechte Geschichte, die kennt jeder.“

Mehr über House of Peace erfahren Sie auf ihrer Facebook-Seite. Auf der Webseite von Women Now for Development erfahren Sie mehr über die Frauenorganisation.

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