Köln ist die erste deutsche Stadt, die eine Partnerschaft mit einer palästinensischen Stadt aufgenommen hat. Im Februar haben Sie Kölns Partnerstadt Bethlehem besucht und in diesem Rahmen auch Mitarbeitende und Partner des forumZFD kennengelernt. Welche Eindrücke haben Sie von diesen Begegnungen mitgenommen?
Henriette Reker: Mir ist bei den direkten Begegnungen mit Menschen in unseren Partnerstädten Bethlehem und Tel Aviv-Yafo noch sehr viel bewusster geworden, dass jene Menschen, die räumlich so nah beieinander leben, voneinander weiter entfernt sind als zu uns, die wir aus dem über 3000 Kilometer entfernten Köln anreisen. Es müsste im Sinne aller sein, friedlich miteinander auszukommen. Das Gegenteil ist der Fall. Die Situation hat sich in den letzten Jahren leider noch verschlimmert.
Umso ermutigender war es für mich, in Talitha Kumi, der deutschen Schule in Beit Jala, Vertreterinnen und Vertreter mehrerer lokaler Partner des forumZFD und der AGEH treffen zu können. Diese beiden Träger des Zivilen Friedensdienstes haben ja in Köln ihren Sitz. Gemeinsam wollen wir den Dialog und die Zusammenarbeit zwischen Israelis und Palästinensern unterstützen und so mit unseren spezifischen Möglichkeiten eigene Beiträge zur Überwindung des israelisch-palästinensischen Konflikts und zur Realisierung der Zwei-Staaten-Lösung leisten. In Talitha Kumi traf ich engagierte Menschen aus Israel und Palästina, die gelernt haben, nicht gegeneinander, sondern miteinander loyal zu sein, die trotz aller politischen und gesellschaftlichen Widerstände aufeinander zugehen und als Gleiche miteinander kooperieren. Ihre erfrischende Fröhlichkeit zeigte mir auch, dass Friedensarbeit sinnstiftend ist und Spaß macht.
Ihr Besuch fiel in eine Zeit, die wenig Hoffnung auf Fortschritte im Friedensprozess zulässt, im Gegenteil. Was kann eine Städtepartnerschaft dennoch zum Frieden beitragen?
Henriette Reker: Städtepartnerschaften müssen unabhängig von der großen Politik funktionieren. Als Städte verhandeln wir auch keine Friedensverträge. Diese können nur zwischen Staaten geschlossen werden. Aber Friedensverträge bedürfen der Unterstützung der Menschen. Hier können Städtepartnerschaften wichtige Beiträge leisten. Wir können, wie gesagt, Friedenskräfte vor Ort unterstützen. Wir können, wenn wir in Bethlehem sind, sagen, dass wir auch Freunde in Tel Aviv haben, umgekehrt selbstverständlich auch. Und wir können versuchen, diese Freunde zusammenzubringen. Das ist bei der in beiden Ländern vorherrschenden Stimmung derzeit zwar kaum möglich, aber unter guten Freunden kann man sich offen die Meinung sagen, und meine Meinung ist: Es geht nur gemeinsam. Wenn die Regierungen es nicht schaffen, sollten wir auf lokaler und bürgerschaftlicher Ebene umso engagierter den Dialog und die Zusammenarbeit suchen.
Last, but not least: Es gibt, wie wir in Europa gelernt haben, einen engen Zusammenhang zwischen Frieden und Demokratie. Städtepartnerschaften stärken die noch immer fragile Selbstverwaltung und lokale Demokratie palästinensischer Kommunen. So tragen sie auch dazu bei, den Aufbau des Staates Palästina von unten zu fördern.
Auch in Deutschland polarisiert der israelisch-palästinensische Konflikt. Das hat die Stadt Köln erlebt, als im Jahr 2015 eine Ausstellung der israelischen Menschenrechtsorganisation „Breaking the Silence“ nach massiven Protesten zunächst abgesagt wurde. Wie gehen Sie mit dieser Herausforderung um?
Henriette Reker: Die Ausstellung „Breaking the Silence” sollte nach der Verschiebung 2015 eigentlich in 2016 in Köln gezeigt werden. Nachdem „Breaking the Silence” und andere besatzungskritische, israelische Friedens- und Menschenrechtsorganisationen aber Anfang 2016 unter massiven Druck der israelischen Regierung und rechter Medien gerieten, hat uns „Breaking the Silence” gebeten, die Ausstellung auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Es war klar, dass in dieser für die Organisation existenziell bedrohlichen Situation die Arbeit im eigenen Land Vor- rang vor Ausstellungen im Ausland hat. Das gilt bis heute.
So sehr wir in Palästina und Israel engagiert sind, so wenig wissen wir in Deutschland und Köln, wie sich die nun schon 50 Jahre anhaltende Besatzung der palästinen- sischen Gebiete und die fortschreitende Siedlungspolitik im konkreten Alltag auswirken. Wer von uns weiß, wie fragmentiert die palästinensischen Gebiete sind und wie sehr die Bewegungsfreiheit sowie die bürgerlichen und politischen Rechte der Palästinenser eingeschränkt sind?
Was in Bethlehem und Palästina, aber auch in Tel Aviv und Israel geschieht, geht auch uns hier etwas an. Darum ist es wichtig, dass wir uns selbst ein realistisches Bild von den negativen Folgen der Besatzung machen. Nur dann können wir mit darauf hinwirken, dass der völkerrechtswidrige Status quo friedlich überwunden wird. Deshalb muss es auch möglich sein, eine Ausstellung wie „Breaking the Silence” oder den inzwischen international vielfach ausgezeichneten Film „Disturbing the Peace”, der israelische und palästinensische Mitglieder von „Combatants for Peace” porträtiert, in Köln und auch anderen deutschen Städten zu zeigen.
Was macht das so schwierig?
Henriette Reker: Die Unversöhnlichkeit, mit der Israelis und Palästinenser einander oft begegnen, spiegelt sich auch in hiesigen Unterstützerkreisen wider. Wir kommen nicht umhin, zu diesem Konflikt eine eigene Haltung zu entwickeln, die beiden Völkern gerecht wird und eine friedliche und demokratische Perspektive aufzeigt.
Deshalb bin ich selbstverständlich auch mit den beiden jüdischen Gemeinden in Köln in engem und vertrauensvollem Gespräch. Wenn sie die Sorge äußern, dass die Ausstellung „Breaking the Silence” Antisemitismus Vorschub leistet, müssen wir gut zuhören, gemeinsam prüfen, ob die Sorge berechtigt ist, und gemeinsam um den richtigen Rahmen ringen, mit dem wir in Köln mediale Bilder über die Folgen der Besatzung Palästinas präsentieren.
Das forumZFD ist nicht nur in der Friedensarbeit in Konfliktregionen wie Israel & Palästina engagiert, sondern auch in Deutschland. Hier beraten wir vor allem Kommunen bei Konflikten, zum Beispiel im Bereich Integration und Flüchtlingsaufnahme. Welche Konfliktfelder sehen Sie in Köln?
Henriette Reker: Konflikte drohen dort, wo Menschen aufgrund der schwierigen Situation am freien Wohnungsmarkt miteinander konkurrieren müssen. Viele sind auf preiswerten Wohnraum angewiesen, der nur begrenzt zur Verfügung steht. Das gilt vor allem für Stadtteile, die aufgrund des vergleichsweise moderaten Mietpreisniveaus schon in den vergangenen Jahren für Menschen mit geringen Einkommen und damit auch für viele Zugewanderte bevorzugte Wohnquartiere waren.
In einer Millionenstadt wie Köln ist der Zuzug von knapp 13.000 Menschen für die Bürgerinnen und Bürger unter normalen Verhältnissen kaum spürbar. Im Sinne einer guten Integration bemühen wir uns, die Geflüchteten dezentral und gleichmäßig auf alle Stadtviertel verteilt unterzubringen. Da wir uns beim Bau von Unterkünften aber auf städtische Grundstücke konzentrieren müssen, die nicht in allen Stadtteilen gleichermaßen verfügbar sind, fällt der Anteil Zugewanderter in den Quartieren unterschiedlich aus. Das wird von einigen als ungerecht empfunden. Die Unterbringung von Menschen in Turnhallen, die seinerzeit notwendig und richtig war, um Zeltstädte zu vermeiden, hatte gravierende Einschränkungen für Schul- und Vereinssport zur Folge. Auf Dauer gesehen führt das auch bei grundsätzlich hilfswilligen Menschen zu Unmut.
Mit Blick auf den Arbeitsmarkt ist festzustellen, dass sich der Anteil der nicht ausreichend qualifizierten Arbeitskräfte erhöht. In einer hochspezialisierten Industriegesellschaft wie der unseren erhöht das im Segment der Langzeitarbeitslosen die Konkurrenzsituation mit Blick auf die wenigen verbliebenen Stellen für Ungelernte und Hilfskräfte.
Köln hat sich mit Ihnen als Oberbürgermeisterin auf den Weg zur Umsetzung der neuen UN-Agenda für nachhaltige Entwicklung gemacht. Die Agenda erkennt die Bedeutung von Frieden und Teilhabe für nachhaltige Entwicklung an – das ist für das forumZFD ein wichtiger Fortschritt. Wie greift die Stadt Köln diese Friedensdimension der Agenda auf?
Henriette Reker: Köln greift die Friedensdimension in vielen unterschiedlichen Bereichen auf, nach außen und nach innen. Die eben angesprochene Arbeit mit den Partnerstädten Tel Aviv und Bethlehem ist ja ein Beispiel dafür. Und ich glaube, indem wir versuchen, über unsere internationale Arbeit auch einen Beitrag für mehr globale Gerechtigkeit zu leisten, leisten wir gleichzeitig einen Beitrag zur Friedensdimension. Denn Frieden und Gerechtigkeit, das gehört für mich untrennbar zusammen. Wenn wir also in unseren Städtepartnerschaften etwa mit Tunis, Rio de Janeiro oder Corinto (Nicaragua) eine enge und solidarische Zusammenarbeit pflegen, so ist dies für mich nicht nur ein Engagement gegen globale Ungerechtigkeiten, sondern zugleich ein kleiner Baustein zum Aufbau einer Friedensordnung. Gleiches gilt für unsere kommunale Entwicklungszusammenarbeit, die ja auch auf den Abbau von Not, Elend und Ungerechtigkeit zielt.
Dass Frieden und Gerechtigkeit zusammengehören, gilt zudem nicht nur nach außen. Auch nach innen müssen wir uns aktiv dafür einsetzen. Der soziale Frieden kann nur erhalten werden, wenn wir auch die Nöte und Sorgen aller Kölnerinnen und Kölner beachten, ganz gleich, seit wann sie hier sind. Hier immer wieder für Kompromisse, Ausgleich, Gerechtigkeit und Solidarität zu sorgen, das ist ja eine unserer Hauptaufgaben.
Wir als forumZFD sind seit nunmehr fünf Jahren in Köln-Ehrenfeld ansässig und fühlen uns in dieser Stadt mit ihrer bunten und starken Zivilgesellschaft genau am richtigen Ort. Welche Bedeutung hat für sie eine starke Zivilgesellschaft in ihrer Stadt, und welche Wünsche und Erwartungen haben Sie an eine internationale Friedensorganisation wie das forumZFD?
Henriette Reker: Gerade unser Engagement für die 2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung ist auf eine starke Zivilgesellschaft angewiesen. Das zeigt zum Beispiel das Netzwerk „Eine-Welt Stadt Köln”, in dem sich Hunderte ziviler Partner zusammengefunden haben, die die kommunale Entwicklungspolitik in Köln ganz wesentlich mitgestalten. Das zeigen auch viele unserer Städtepartnerschaftsvereine, ohne die die internationalen Partnerschaften Kölns längst nicht so lebendig und produktiv wären. In der Zivilgesellschaft finden wir oft eine ungeheuer große Kompetenz, die in langjähriger Erfahrung gründet. Diese Kompetenz schätzen wir und nutzen sie. Daher freuen wir uns, wenn Organisationen wie das forumZFD mit Anregungen und Ideen auf uns zukommen oder bereit sind, uns mit Rat und Tat zu unterstützen und auch gemeinsam mit uns Veranstaltungen oder Aktionen zu planen und durchzuführen. Aus all diesen Gründen bin ich sehr froh, dass mit dem forumZFD eine weitere kompetente und engagierte Organisation ihren Sitz in Köln gefunden hat.