Vorrang für zivil?!

Online-Dialogreihe zur Globalen Nachhaltigkeitsagenda

Die Militärausgaben senken, eine gerechtere Handelspolitik oder sogar ein Friedensattaché in deutschen Botschaften? Bei dem Online-Gespräch „Vorrang für zivil?!“ kamen viele Ideen zusammen, wie Deutschland in Zukunft zu einer friedlicheren Welt beitragen kann.
2014 Aktion Friedensband
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Zu Beginn der laufenden Legislaturperiode hatte sich die Große Koalition vorgenommen, mehr zu tun um Krisen zu verhindern sowie Frieden und nachhaltige Entwicklung zu fördern. Dazu hatte sie 2017 entsprechende Leitlinien verabschiedet. Im März 2021 legte die Bundesregierung nun einen Zwischenbericht vor und stellte dar, was bisher erreicht wurde. Aus diesem Anlass zog das Online-Gespräch am 13. April, zu dem das forumZFD und die Plattform Zivile Konfliktbearbeitung eingeladen hatten, eine Zwischenbilanz: Welche Fortschritte wurden im Bereich ziviler Krisenprävention erreicht? Und was sollten die nächste Bundesregierung und der Bundestag tun, um Prävention und Friedensförderung zu stärken?

Zu Gast waren Dr. Jörn Grävingholt vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik, Ginger Schmitz, Geschäftsführerin der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung, sowie Dr. Almut Wieland-Karimi, Geschäftsführerin des Zentrums für internationale Friedenseinsätze.

Das Video der Veranstaltung können Sie hier anschauen:

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Aufnahme des Online-Gesprächs vom 13.04.2021

Zu Beginn des Gesprächs beleuchteten die Podiumsdiskutanten die Fortschritte, die seit der Verabschiedung der Leitlinien erreicht wurden. „Dieses Dokument hat der Frage, wie die Bundesregierung mit friedenspolitischem Engagement und ziviler Krisenprävention umgeht, eine neue Dynamik verliehen“, sagte Dr. Jörn Grävingholt vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik, der außerdem Mitglied im Beirat Zivile Krisenprävention und Friedensförderung der Bundesregierung ist. Der Wissenschaftler erläuterte, durch die Leitlinien seien die strukturellen Voraussetzungen für zivile Krisenprävention verbessert worden und es habe neue Impulse in der politischen Diskussion gegeben. Positiv sei vor allem das klare Bekenntnis zu den Menschenrechten. Damit setzten die Leitlinien Maßstäbe, an denen sich die Bundesregierung messen lassen müsse, so Dr. Grävingholt.

Ginger Schmitz, Geschäftsführerin der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung und ebenfalls Mitglied im Beirat, benannte weitere Fortschritte. Die Leitlinien hätten das Bewusstsein für die Bedeutung ziviler Krisenprävention gestärkt und auch die Beteiligung der Zivilgesellschaft habe zugenommen. In vielen anderen Aspekten seien die Leitlinien und deren Umsetzung jedoch hinter ihren Erwartungen zurückgeblieben, betonte Schmitz: „Meine Liste mit Punkten, die ausbaufähig sind, ist länger!“

Politischer Wille ist entscheidend

Dr. Almut Wieland-Karimi, Geschäftsführerin des Zentrums für internationale Friedenseinsätze (ZiF), erklärte, die Rahmenbedingungen für die Arbeit ziviler Fachkräfte in internationalen Missionen hätten sich in den vergangenen Jahren deutlich verbessert, unter anderem durch das „Sekundierungsgesetz“ von 2017, welches vertragliche und organisatorische Details neu regelte. Im Laufe des Gesprächs betonte sie aber, dass der Erfolg ziviler Missionen nicht nur von den personellen und finanziellen Ressourcen abhinge, sondern ganz entscheidend auch vom politischen Willen: „Es hängt davon ab, wie viel politischen Willen die internationale Gemeinschaft aufbringt, um eine Situation zu verändern.“ Als Beispiel nannte Dr. Wieland-Karimi die aktuelle Eskalation in der Ukraine. Diese erfülle sie mit Sorge, zumal zivile Fachkräfte des ZiF auch im Donbass tätig seien. Es stelle sich die Frage: „Was würde denn die internationale Gemeinschaft tun, wenn es zu einem bewaffneten Konflikt käme? Und was können zivile Missionen tun, außer sich zurückzuziehen?“

Ginger Schmitz benannte einen zentralen Kritikpunkt des Beirats an den Leitlinien der Bundesregierung: „Ohne einen Umsetzungsplan und konkrete Ziele lassen sich die Fortschritte nicht überprüfen.“ Bei der zivilen Krisenprävention und Friedensförderung fehle es an einer klaren politischen Zielvorgabe, die es in anderen Bereichen durchaus gebe – etwa bei den Verteidigungsausgaben, deren Steigerung auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts politisch sehr umstritten ist. Ginger Schmitz forderte, der Zivile Friedensdienst müsse ausgebaut werden und die Leitlinien müssten in allen Abteilungen der Ministerien und auch in den diplomatischen Vertretungen im Ausland bekannter gemacht werden.

Ein Friedensattaché in deutschen Botschaften?

Moderator Christoph Bongard vom forumZFD formulierte es so: „Braucht es neben dem Militärattaché in deutschen Botschaften einen Friedensattaché, der die Leitlinien und die zivile Friedensförderung im Blick hat?“ Dieser Vorschlag stieß im Chat auf große Zustimmung. Überhaupt brachten die Teilnehmenden viele eigene Ideen und Anregungen in die Diskussion ein. Ein Teilnehmer schrieb: „Ich finde: Die Aufgabe eines Friedensattachés sollte in jeder Botschaft Chefsache sein - also vom Botschafter/der Botschafterin selbst wahrgenommen werden.“ Eine andere Teilnehmerin fragte: „Können wir uns nicht für das vom Netzwerk Friedenssteuer erarbeitete Zivilsteuergesetz einsetzen? So könnten Friedensfachkräfte noch mehr unterstützt werden, auch Prävention etc....“.

Zur Frage, welche Prioritäten die nächste Bundesregierung setzen sollte, hatten die Teilnehmenden ebenfalls viele Ideen: „Mediation fördern“, „Zivilen Friedensdienst aufwerten“, „Militärausgaben senken“, „Rüstungsexport einstellen“, „gerechter Welthandel“ sowie ein finanziell gut ausgestattetes „Friedensministerium“ waren nur einige der zahlreichen Vorschläge aus dem Chat. Ein Teilnehmer regte an, militärisch nur so viele Mittel und so viel Personal in einem Konflikt einzusetzen, wie zuvor für die zivile Konfliktbearbeitung ausgegeben wurde.

Eine Teilnehmerin hob die Bedeutung von Bildung hervor und schlug mit Blick auf eine künftige Überarbeitung der Leitlinien hervor, diese sollten „mit Friedenspädagogik in Schulen anknüpfen (als Prävention und Einsicht wie Konflikte auch gewaltfrei gelöst werden können).“ Ein anderer Teilnehmer kommentierte, es sei wichtig, eine Außenwirtschaftspolitik zu konzipieren, „die die regionale Wirtschaft in den Zielländern nicht gefährdet. Ich denke da an die Europäischen Partnerschaftsabkommen, die im Wesentlichen den Interessen der Wirtschaft in der EU dienen.“

Lieferketten und Handelspolitik konfliktsensibel gestalten

Diesen Aspekt griff auch Dr. Jörn Grävingholt auf. Er kritisierte, dass globale Strukturen, die zu Konflikten und zum Ausbruch von Gewalt beitragen, bei der Krisenprävention oft zu wenig berücksichtigt würden. „In der Afrikastrategie des Bundeswirtschaftsministeriums tauchen Konflikte allenfalls als Störfaktor auf, die hinderlich für die wirtschaftlichen Beziehungen sind. Aber umgekehrt taucht nicht die Frage auf, wie wir unsere Lieferketten und unsere Rohstoffpolitik so gestalten können, dass wir damit nicht denjenigen in die Tasche wirtschaften, die Ausbeutung vorantreiben. Sind uns kurzfristige wirtschaftliche Vorteile wirklich so viel mehr wert, dass wir die Unwägbarkeiten, die Gewaltkonflikte nach sich ziehen, in Kauf nehmen wollen?“

Ginger Schmitz forderte mit Blick auf die nächste Bundesregierung eine „Friedensverträglichkeitskeitsprüfung“: Alle politischen Vorhaben zum Engagement Deutschlands in der Welt sollten dahingehend überprüft werden, wie sie sich auf Konflikte auswirkten – und die Vorhaben müssten dann auch konsequent überarbeitet werden, falls die Prüfung ergebe, das sich dadurch das Risiko für einen Gewaltkonflikt erhöhe. Dr. Almut Wieland-Karimi ergänzte zum Abschluss, das Thema der zivilen Krisenprävention sollte im Bundestag eine prominentere Rolle einnehmen, anstatt fast ausschließlich in dem damit befassten Unterausschuss behandelt zu werden. Diskussionen in einem Hauptausschuss wie zum Beispiel dem Auswärtigen Ausschuss könnten dazu beitragen, der zivilen Konfliktprävention und Friedensförderung politisch mehr Gewicht zu verleihen.

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