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„Vielfalt ist nicht selbstverständlich“

forumZFD-Interview mit dem Parlamentarischen Staatssekretär Sven Lehmann zum neuen Demokratiefördergesetz

Die Bundesregierung hat ein neues Gesetz zur Förderung der Demokratie in Deutschland auf den Weg gebracht. Damit sollen zivilgesellschaftliche Projekte und Initiativen unterstützt werden, die sich für eine vielfältige Gesellschaft und gegen Extremismus einsetzen. Wir sprachen darüber mit dem Kölner Bundestagsabgeordneten Sven Lehmann, der den Gesetzesentwurf maßgeblich mitgestaltet hat.
Vielfalt ist nicht selbstverständlich (Magazin 2023/3) neuer Header
© Cornelis Gollhardt

Sven Lehmann ist Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Der Grünen-Politiker setzt sich als Queer-Beauftragter der Bundesregierung für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in Deutschland ein. Seine Karriere begann der heute 43-Jährige als Kommunalpolitiker im rheinischen Troisdorf.

Die Ampelkoalition hat sich vorgenommen, die Demokratieförderung zu stärken, und arbeitet dazu gerade an einem entsprechenden Gesetz und einer neuen Strategie. Was ist der Anlass?

Gerade in der gegenwärtigen Zeit mit ihren Krisen und Herausforderungen ist es eine wichtige Aufgabe, die Demokratie lebendig zu halten, ein respektvolles Zusammenleben in unserer vielfältigen Gesellschaft sicherzustellen und sich gegen Radikalisierung und Gewalt zu engagieren. Und es ist wichtig, die Menschen zu motivieren und zu befähigen, sich kritisch mit politischen und gesellschaftlichen Fragen auseinanderzusetzen und aktiv am politischen Leben teilzunehmen. Im Koalitionsvertrag haben wir deshalb beschlossen, die vielfältige und demokratische Zivilgesellschaft zu unterstützen. Dafür hat die Bundesregierung den Entwurf eines Demokratiefördergesetzes vorgelegt.

Demokratie lässt sich nicht verordnen, lautet eine Kritik. Wozu braucht es aus Ihrer Sicht dennoch ein solches Gesetz?

Das Gesetz stellt die Demokratieförderung, Vielfaltgestaltung, Extremismusprävention und politische Bildung auf eine fachgesetzliche Grundlage. Mit dem Gesetz verpflichtet sich der Bund erstmals und ausdrücklich, hier aktiv zu sein. Wir erleben doch täglich, wie unsere Gesellschaft von Rechtspopulist* innen und durch gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit herausgefordert wird. Da sind eine kontinuierliche Präventionsarbeit und planbares Engagement wichtig. Das Demokratiefördergesetz bildet dafür eine gute Grundlage. Und weil es entwicklungsoffen gestaltet ist, stellen wir sicher, dass auch neue Formen von Menschen- und Demokratiefeindlichkeit adressiert werden können. Das Gesetz ist auch ein wichtiges politisches Signal: Der Bund erkennt die wertvolle Arbeit von Vereinen, Initiativen und Organisationen an, die sich täglich für Demokratie und Vielfalt und gegen Menschenfeindlichkeit einsetzen, an. Zivilgesellschaftliches Engagement für Demokratie und Vielfalt ist nicht selbstverständlich, umso wichtiger sind gesetzlich festgelegte Rahmenbedingungen.

Schon jetzt gibt es Programme und Initiativen für politische Bildung und die Förderung der Demokratie. Was ändert sich mit dem neuen Gesetz?

Das Demokratiefördergesetz ist auf die Verstetigung der Förderung ausgerichtet. Der Bund sichert die Finanzierung von Maßnahmen der Demokratieförderung, Vielfaltgestaltung, Extremismusprävention und politischen Bildung ab. Dabei kann er auch längerfristige Förderungen vornehmen. Der Bund verpflichtet sich durch das Gesetz aber auch ausdrücklich, selbst aktiv zu werden. Dazu kommt: Die Förderung ist bislang überwiegend auf jüngere Zielgruppen begrenzt. Das ist nicht sinnvoll, wir müssen auch Ältere erreichen – und das wird mit dem neuen Gesetz geregelt. Beispielsweise ist der Glaube an Verschwörungserzählungen in allen Altersgruppen verbreitet.

Im Rahmen unserer Kommunalen Konfliktberatung erleben wir, dass die Herausforderungen unserer Zeit besonders oft in den Kommunen bearbeitet werden müssen. Wie wollen Sie diese im Bereich Demokratieförderung stärken?

Aktuell fördern wir über 350 Partnerschaften für Demokratie auf kommunaler Ebene. Viele Projekte werden seit dem Start des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ im Jahr 2015 durch zivilgesellschaftliche Träger vor Ort umgesetzt. Dabei geht es selbstverständlich auch darum, die lokalen Konflikte zu bearbeiten und die Menschen wieder dazu zu bringen, in Kontakt zu treten und respektvoll miteinander zu reden. „Demokratie leben!“ läuft noch bis Ende 2024. Wir wollen das Bundesprogramm weiterentwickeln und 2025 neu starten. Dann werden auch die Kommunen wieder die Möglichkeit erhalten, Fördermittel zu beantragen.

Der Gesetzesentwurf klingt für uns an vielen Stellen sehr defensiv. Bräuchte es nicht eine konstruktivere Sprache, um Menschen für die Teilhabe an der Demokratie zu begeistern?

Ich denke, der Gesetzesentwurf ist aus gutem Grund so formuliert, dass er die Herausforderungen klar benennt. Auf dieser Grundlage kann dann jedes Ressort in seiner Zuständigkeit eigene Programme entwickeln. In der konkreten Ausgestaltung dieser Programme und insbesondere der einzelnen Maßnahmen durch die Träger geht es natürlich darum, die jeweiligen Zielgruppen angemessen anzusprechen. In vielen Fällen liegt der Fokus darauf, Menschen für Demokratie und Vielfalt zu begeistern.

Die Bundesregierung begleitet das Gesetz mit der Strategie „Gemeinsam für Demokratie und gegen Extremismus“. Welche Rolle spielt darin die Konfliktbearbeitung? Warum braucht es neben dem Fördergesetz diese Strategie?

Wir haben im Koalitionsvertrag die Entwicklung zweier Strategien vereinbart: Die Strategie gegen Extremismus aus Prävention, Deradikalisierung und effektiver Gefahrenabwehr und die Strategie für gesellschaftlichen Zusammenhalt, Demokratieförderung und Extremismusprävention. Beide Strategien wollen wir zu einer Gesamtstrategie zusammenführen. Der Arbeitstitel lautet: „Gemeinsam für Demokratie und gegen Extremismus – Strategie der Bundesregierung für eine starke, wehrhafte Demokratie und für eine offene und vielfältige Gesellschaft“. Konfliktbearbeitung ist ein zentraler Punkt der Gesamtstrategie. Die Strategie soll aus der Perspektive der Bundesregierung Antworten auf die aktuellen Herausforderungen geben, Instrumente und Lösungsansätze herausarbeiten und deutlich machen, wie diese gestärkt und verzahnt werden können.

Wird das Gesetz dazu führen, dass Projekte in der Demokratieförderung in Zukunft mehr Geld bekommen?

Es wird keinen gesetzlich festgelegten Betrag für die Demokratieförderung geben, da das Haushaltsrecht beim Bundestag liegt. Außerdem ist noch nicht klar, welche Ministerien welche Mittel zur Umsetzung der jeweiligen Programme benötigen. Am Ende trifft das Parlament bei den Haushaltsberatungen eine Entscheidung. Aber natürlich hoffen wir, dass insgesamt ausreichend Mittel über die unterschiedlichen Programme für die Demokratieförderung zur Verfügung stehen werden.

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