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„Jeder Mensch ist auch eine historische Figur“

Neue Plattform "Oral History Banja Luka" vorgestellt

Im Rahmen der Konferenz zum Thema „Oral History“, die im Dezember in Banja Luka in Bosnien und Herzegowina stattfand, stellte die Organisation Oštra Nula gemeinsam mit dem forumZFD eine neue digitale Plattform vor. Hier sind Audiomitschnitte mündlicher Berichte zahlreicher Bürger von Banja Luka gesammelt.
Oral History Banja Luka presented - 1
© forumZFD

„Die Aufnahmen umfassen einen Zeitraum von Mitte der 80er Jahre bis heute. Die digitale Plattform soll sowohl als Archiv fungieren als auch als Werkzeug für die Bürgerinnen und Bürger Baja Lukas, die sich an der Schaffung einer gemeinsamen kollektiven Geschichte der Stadt beteiligen möchten“, sagte Dražana Lepir von der Organisation Oštra Nula. Neben den Audioaufnahmen können auch Fotos und Videoaufnahmen sowie Textdokumente zu der Plattform beigetragen werden. Jede Geschichte ist relevant und trägt zur großen vielfältigen Geschichtsschreibung bei.

„Geschichte, vor allem neueste Geschichte, ist immer ein komplexes Phänomen. Deshalb bedeutet 'Geschichte schreiben' auch immer 'Geschichte vereinfachen'. Die Sammlung von persönlichen Erzählungen trägt dazu bei, die Vergangenheit zu verstehen ungeachtet von aktuellen politischen oder gesellschaftlichen Situationen. Diese Geschichten zu hören ist eine Chance die anderen Menschen in unserem Umfeld zu verstehen – was sie durchgemacht haben und wo die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu unseren eigenen Geschichten liegen. So erhalten wir auf vielen Ebenen einen besonderen Zugang zu Erinnerungen und die Möglichkeit vergangene Ereignisse komplexer zu verstehen“, sagte Miša Kapetanović, Wissenschaftler und Anthropologe der Universität St. Gallen.

Ein extrem wertvoller Ansatz

„Die Berichte einzelner Individuen sind eine wertvolle Quelle der Geschichtsforschung, die uns wichtige Informationen über die sozialen Umstände und Details aus dem alltäglichen Leben liefern. Das können andere historische Quellen nicht leisten. Der Zugang zu diesen Berichten ist ein Privileg. Jeder Mensch ist auch eine historische Figur. Erinnerungen werden aus verschiedenen Blickwinkeln und Entfernungen reflektiert und als solche müssen wir sie auch analysieren“, fügte Armina Galijaš hinzu, Assistenzprofessorin der Universität Graz und Gastprofessorin an der Politikwissenschaftlichen Fakultät der Universität Zagreb.

Tamara Šmidling, Aktivistin und Gründerin der Peace Academy in Sarajevo sagte dazu, dass der Umgang mit sozialer Geschichte, die auf persönlichen Berichten einzelner basiert, ein extrem wertvoller Ansatz ist. Er füllt die weißen Felder, die sonst in unserer kollektiven Erinnerung entstehen. Denn oft werden Geschichten, die nicht aus der dominierenden Gruppe stammen vermieden, unterdrückt oder umgangen.

Bisher wurden auf der neuen digitalen Plattform 16 Interviews veröffentlicht. Die Gründerinnen und Gründer hoffen, dass die Zahl bald wesentlich größer sein wird um diese zu einem wirkungsvollen Werkzeug für alle zu machen, die sich für die Geschichte von Krieg und Frieden, Veränderungen, die Vergangenheit und die Zukunft der Stadt interessieren – egal ob es sich um Personen aus dem öffentlichen Leben, Aktivistinnen und Aktivisten, Künstlerinnen oder Künstler handelt. Denn „wenn wir gesellschaftliche Veränderungen wünschen, sollten wir dort anfangen, wo die Gesellschaft steht.“

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