Im Juni reiste eine Delegation des Forum Ziviler Friedensdienst für vier Tage nach Jordanien. An der Reise nahmen unter anderem Alexander Mauz (Vorstand forumZFD), Margrit Röhm (Vorstandsmitglied der Stiftung forumZFD) sowie zwei Mitglieder eines Rotary-Clubs aus Darmstadt teil. Vor Ort stellten die Friedensfachkräfte sowie die Partnerorganisationen in Jordanien ihren Projektansatz vor. Die Delegationsgruppe war beeindruckt vom bisher Erreichten und kehrte mit einer klaren Vorstellung der Arbeit des forumZFD in Jordanien zurück. Thomas Oelerich, Fundraiser des forumZFD, schildert seine Eindrücke.
Schon ein Blick auf die Landkarte zeigt: Jordanien liegt inmitten der Konfliktregion Naher Osten. Das Land grenzt an Israel & Palästina, den Libanon, Syrien, den Irak, Saudi-Arabien und im Süden an Ägypten, lediglich getrennt durch den Golf von Akaba. Konfliktgebiete, wohin man schaut. Dennoch gilt Jordanien als eine Insel des Friedens im Nahen Osten. Das ist umso erstaunlicher angesichts der immensen Herausforderungen, die das Land nicht erst seit dem Krieg im Nachbarland Syrien zu bewältigen hat. Von den etwa zehn Millionen Menschen, die derzeit in Jordanien leben, hat rund die Hälfte eine Fluchtgeschichte.
Bereits nach der Vertreibung aus dem früheren britischen Mandatsgebiet Palästina und aus Jerusalem im Jahr 1948, verbunden mit der Gründung des Staates Israel, hatten etwa 2,5 Millionen Palästinenserinnen und Palästinenser in Jordanien Zuflucht gefunden. Noch heute lebt ein Großteil dieser Menschen in sogenannten Camps, in eigenen Stadtteilen, zumeist in der Hauptstadt Amman. Die Camps sind für Außenstehende kaum von den anderen Stadtvierteln zu unterscheiden.
Weitere 1,5 Millionen Menschen kamen nach dem von Israel gewonnenen Sechstagekrieg im Juni 1967 hinzu, als das israelische Militär Gebiete in Ägypten, Syrien und Jordanien besetzte. Bis heute werden diese Gebiete von Israel kontrolliert. Die Gegenseite spricht von „besetzten Gebieten“. Auffallend bei unserem Besuch: Keiner der Gesprächspartnerinnen und -partner nimmt das Wort „Israel“ in den Mund. Die Bezeichnung „Palästina“ schließt in der Wahrnehmung der meisten Jordanier Israel mit ein. Ein Hinweis darauf, wie der Nahostkonflikt auch in der jordanischen Gesellschaft permanent präsent ist.
Integration von Geflüchteten als große Herausforderung
Die Integration der Geflüchteten bedeutete für Jordanien eine enorme Kraftanstrengung, nicht nur ökonomisch und sozial, sondern auch politisch.
Der aktuelle König Abdullah II. bin al-Hussein, seit dem Jahr 1999 im Amt, führt das Land nach Ansicht vieler unserer Gesprächspartner sehr klug und diplomatisch. Er fördere eine vorsichtige demokratische Öffnung und zeige sich daran interessiert, die zivilgesellschaftlichen Basisgruppen im Land zu stärken. Der 27-jährige Stadtführer Mustafa al Fahet(*) erzählt: „Im Jahr 2011 hat der König politische Zugeständnisse gemacht, auch wenn der angekündigte Reformprozess mit keinem verbindlichen Zeitplan verbunden war. Immerhin ist es den Jordaniern heute sogar möglich, die Regierung öffentlich zu kritisieren und Missstände anzuklagen.“
Eine zentrale Rolle für die politische Stabilität des Landes spielen außerdem die traditionellen Stammesstrukturen. Morad Alqadi, seit Mitte 2018 jordanischer Mitarbeiter im Team des forumZFD, erklärt uns, was wir von vielen unserer Gesprächspartner gehört haben: „Letztlich sind es die Stämme, die in Jordanien für Frieden und für ein geregeltes Zusammenleben sorgen. Die Stammesführer und der König arbeiten zusammen, um langfristig den Frieden zu bewahren. Es ist bekannt, dass viele Stämme in Jordanien keine Grenzen kennen, denn sie haben durchweg Angehörige in fast allen Nachbarländern.“
Nicht nur für circa vier Millionen palästinensische Menschen ist Jordanien so zum sicheren Hafen geworden. Konflikte in den Nachbarländern Libanon und Irakführten dazu, dass noch mehr Menschen in dem Land Schutz und Zukunft suchten. Seit Beginn des Syrienkrieges 2011 sind etwa eine Million weitere Geflüchtete hinzugekommen, insbesondere in die Grenzregionen Mafraq und Irbid im Norden des Landes. Lediglich 600.000 Geflüchtete sind offiziell registriert.
„Versuche, den Flüchtlingen den Zugang in unser Land zu verwehren, hat es nie gegeben. Und wir werden auch niemanden unter Druck setzen, in die Heimat zurückzukehren“, stellt der Gouverneur der Region Mafraq, Abdullah Al-Sa’aidah, bei einem Empfang im Regierungsgebäude klar. Der vom König eingesetzte Chef des zweitgrößten Gouvernements von Jordanien macht aber auch keinen Hehl aus den Problemen und Herausforderungen, die mit der Vielzahl an Schutzsuchenden verbunden sind: „Der zunehmende Grenzschmuggel ist nur ein Teil des Gesamtproblems und bei einer Grenze von 415 Kilometern auch kaum zu kontrollieren. Viel gravierender sind die Herausforderungen um die Ressourcen Wasser und Energie. Schon vor der Krise in Syrien hatten wir Probleme mit der Versorgung. Und jetzt kommt die Aufgabe hinzu, die Sicherstellung von Bildungsangeboten für die Kinder und Jugendlichen zu gewährleisten und zusätzliche Arbeitsplatzangebote zu schaffen“, so Al-Sa’aidah. Auf die Nachfrage, was die internationale Gemeinschaft tun könne, um Jordanien zu unterstützen, lautet seine knappe, aber unmissverständliche Antwort: „Ich erbitte nichts. Die internationale Gemeinschaft soll nur ihre globale Verantwortung übernehmen. Es ist schließlich ihr Krieg.“
Auch der Leiter der jordanischen Partnerorganisation Rafd in der Region Mafraq, Yazan Al Shdiefat, hatte bei einem Zusammentreffen zuvor eine ähnliche Einschätzung geäußert. Er beklagt, dass viele Hilfsorganisationen in die Region gekommen wären, ohne sich die Mühe zu machen, den lokalen Kontext zu analysieren. „Eine nachhaltige Wirkung von Hilfsprojekten konnte so gar nicht sichergestellt werden“, ist er überzeugt. Dieses Thema diskutieren wir am folgenden Tag ausführlich mit den Mitarbeitenden des forumZFD in Amman. Landesdirektor Karim Thabet erklärt den Ansatz des Teams: „In Jordanien gibt es über 5.000 zivilgesellschaftliche Initiativen bzw. Organisationen. Bevor wir in die konkrete Projektplanung eingestiegen sind, haben wir zunächst über Monate hinweg in einer Kontextanalyse herausgearbeitet, mit welchen der 131 lokalen Organisationen in den beiden nördlichen Gouvernements des Landes eine Zusammenarbeit denkbar wäre.“
Eine nachhaltige Projektarbeit setzt Kontextanalyse voraus
Benedikt Brammer, Friedensfachkraft des forumZFD in der Region, fasst das Ergebnis der Analyse zusammen: „Wir haben 32 Organisationen besucht und mit diesen ausführliche Gespräche geführt. Aus zuletzt sechs verbliebenen Organisationen haben wir schließlich zwei Organisationen im Norden des Landes, in den Regionen Mafraq und Irbil, ausgewählt, die an einer nachhaltigen Entwicklungsarbeit interessiert sind und die den systemischen Ansatz einer Konfliktanalyse mit uns teilen.“ Brammer erläutert, wie diese Herangehensweise von Beginn an sicherstellt, dass über die Aus- und Weiterbildung lokaler Aktivistinnen und Aktivisten nachhaltige Projekte vor Ort entstehen, die von breiter Beteiligung getragen sind und einen Beitrag zu einem respektvollen Miteinander von Geflüchteten und Einheimischen leisten. „Kurzfristige Projekte, die mehr den Geldgebern dienen als den Zielgruppen, hat es bei uns zu Genüge gegeben“, bestätigt auch Morad Alqadi vom forumZFD, der über umfangreiche Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit internationalen Hilfsorganisationen verfügt.
Ein Beispiel für ein nachhaltig angelegtes Projekt, das erst durch das gemeinsame Zusammenwirken von Geflüchteten und lokaler Bevölkerung möglich wurde, konnten wir in einem Vorort der Regionalhauptstadt Mafraq sehen. Unmittelbar vor den Toren des Flüchtlingslagers Zatari, in dem zu Hochzeiten der Krise bis zu 120.000 Menschen untergebracht waren, hatten sich Geflüchtete und Stadteilbewohnerinnen zusammengetan, um das zunehmende Bildungsproblem vor Ort zu lösen. Denn die Behörden waren angehalten, auch für die Kinder der Geflüchteten eine Schulausbildung zu gewährleisten in einer Situation, in der sich die Anzahl der Schülerinnen und Schüler mehr als verdoppelt hatte. Notwendige Räumlichkeiten und Lehrpersonal waren einfach nicht vorhanden. Die Menschen taten sich zusammen, organisierten zunächst einen Container als ersten Schulraum, fanden unter den Geflüchteten eine ausgebildete Lehrerin und begannen auf einem von der Gemeinde bereitgestellten Gelände mit dem Unterrichten der ersten Kinder. Mithilfe von Fördermitteln internationaler Organisationen konnten einige weitere Containergebäude erworben und zusätzliches Lehrpersonal, das größtenteils ehrenamtlich tätig wurde, eingestellt werden. Heute ist die kleine Grundschule nicht mehr wegzudenken, die aus der Eigeninitiative der Betroffenen und mit Förderung der lokalen Behörden zu einem wichtigen Faktor des Zusammenlebens wurde.
forumZFD setzt auf langfristige Kooperationen
Bei einem Treffen mit mehreren Beduinenführern sowie kommunalen Verantwortlichen in einem anderen Stadtteil von Mafraq stellt Alexander Mauz vom Vorstand des forumZFD gegenüber den Partnerorganisationen klar: „Ich kann Ihnen heute versichern, dass wir auf lange Sicht, also in den kommenden fünf bis zehn Jahren, mit Ihnen zusammenarbeiten möchten. Denn Frieden ist ein Prozess, der langen Atem ebenso benötigt wie ein langfristiges Arbeiten daran.“ Diese Zusage wird von den Gesprächspartnerinnen und -partnern sehr positiv aufgenommen. Uns wird deutlich: Hier geht es dem forumZFD nicht um kurzfristige Hilfestellung, die nach einigen Monaten eingestellt werden muss, wenn die Gelder ausgehen oder Hilfsorganisationen das Land wieder verlassen, sondern um die Befähigung der Menschen, aus eigener Kraft Lösungsansätze für Probleme und Konflikte auf lokaler Ebene zu finden.
Wir kehren nach Deutschland zurück, beeindruckt von der Gastfreundschaft der Menschen in Jordanien, aber auch von den überwältigenden Kultur- und Naturschätzen des Landes, die wir erleben durften. Und wir sind überzeugt: Das forumZFD leistet eine wichtige Friedensarbeit an den vorhandenen Konflikten im Land. Die Arbeit hat gerade erst angefangen und wird einen langen Atem benötigen. Aber das forumZFD-Team und die Partnerorganisationen vor Ort hinterlassen bei uns den Eindruck, auf Dauer „Entschieden für den Frieden“ arbeiten zu wollen.