
Ein Freitag in Sheikh Jarrah
Foto-Geschichte über die Proteste in Ostjerusalem
Seit vielen Jahren protestieren Israelis und Palästinenser*innen von Freitag zu Freitag friedlich gegen die drohende Vertreibung einiger palästinensischer Familien aus ihren Häuser im Jerusalemer Stadtteil Sheikh Jarrah. Die Konflikte in dem Stadtteil erfuhren in den letzten Wochen internationale Aufmerksamkeit im Zusammenhang mit der Eskalation der Gewalt, zunächst in Jerusalem und schließlich zwischen der der Hamas und der israelischen Armee.
Am vergangenen Freitag, dem zweiten Tag des Waffenstillstands, hat unsere Kollegin in Jerusalem die angespannte Situation in Sheikh Jarrah und die friedlichen Proteste eingefangen.
Momentan ist die Polizeipräsenz sehr hoch. Auf diesem Bild sind israelische Polizisten am Eingang des ostjerusalemer Stadtteils Sheikh Jarrah zu sehen. Sheikh Jarrah ist eines der ältesten palästinensischen Wohngebiete in Jerusalem. Heutzutage leben dort Menschen aus aller Welt, auch das Büro des forumZFD liegt hier.
In den letzten Wochen machte der Stadtteil weltweit Schlagzeilen. Zu Beginn des Jahres beschloss ein israelisches Gericht die Enteignung von vier palästinensischen Familien in Sheikh Jarrah zugunsten israelischer Siedler*innen, von denen einige bereits Häuser von Palästinenser*innen besetzen.
Eli aus Belgien und Mohammed aus Sheikh Jarrah sind Nachbarn. Ihr Leben hat sich in den letzten Wochen stark verändert. Von ihren Balkonen aus beobachteten sie Proteste, Polizeigewalt und Gewalteskalationen.
Als Palästinenser ist es Mohammed nicht immer gestattet, sein Haus zu verlassen. Eli ist als Entwicklungshelferin nicht von dieser Einschränkung betroffen. Die Straße ist von der Polizei abgesperrt und darf nur von Anwohner*innen betreten werden. Elis Haus hat einen Hintereingang, durch den wir uns hineinschleichen und Aufnahmen machen konnten.
Eli und Mohammed sahen die friedlichen Demonstrationen von ihren Balkonen und entschieden, sich ihnen anzuschließen. Auf dem Weg hielt sie ein israelischer Siedler auf und fragte Eli, woher sie komme und was sie hier mache. Er selber kommt aus Frankreich. Viele Siedler*innen in Sheikh Jarrah kommen ursprünglich aus Europa und den USA. Sie sind Teil der rechts ausgerichteten Siedler-Lobby und sie reisen nach Jerusalem, um abwechselnd für eine Zeit die besetzten palästinensischen Häuser zu beziehen.
Etwas weiter treffen wir auf Siedler*innen, die dauerhaft in Sheikh Jarrah leben. Diese Häuser sind leicht anhand der vielen Israel-Flaggen zu erkennen. Die Fenster sind verriegelt, mehrere Überwachungskameras sind auf die Nachbarschaft gerichtet.
Auf der anderen Seite der Straße, getrennt durch eine Polizeibarriere und im Schatten eines Feigenbaums, liegt das Haus der Familie Al-Kurd. Seit Jahren lebt die Familie mit der Angst, aus ihrem eigenen Haus vertrieben zu werden. Eine Gruppe älterer palästinensischer Frauen sitzt im Schatten des Feigenbaums vor dem Haus. Sie singen, klatschen, und zeigen ihre Präsenz. Genau wie die Überwachungskameras auf der anderen Seite verfolgen sie aufmerksam, was auf der anderen Straßenseite vor sich geht.
Ein kleiner Junge, der auch in dieser Straße lebt, fährt mit seinem Rad die Straße hoch und runter, während zwei Siedler eine Flagge aufrichten, die der Wind zuvor umgeworfen hatte.
Da nur Anwohner*innen die Straße betreten dürfen, ist es an diesem Nachmittag sehr ruhig. Als es in den Wochen zuvor weniger Einschränkungen gab, feierten viele Aktivist*innen das Ende des Ramadans mit den Kindern in der Nachbarschaft. Sie bemalten Hauswände, hängten Luftballons auf und feierten zusammen das Fastenbrechen, um ihre Solidarität mit den palästinensischen Familien auszudrücken.
Das Ende der Straße ist voller Polizeiautos und Straßensperren. Mehrere israelische Siedler*innen stehen zwischen den Polizeiautos und schauen sich die friedlichen Demonstrationen aus der Ferne an.
„Ich habe versucht, die Straße von der anderen Seite aus zu betreten.“, sagt Mohammed. „Aber sie ließen mich nicht. So läuft das seit mehreren Tagen“. Er ist in Sheikh Jarrah aufgewachsen, er hat dort sein ganzes Leben verbracht. Während Eli durch ihren Diplomaten-Pass eine gewisse Immunität genießt, wird Mohammed nahezu täglich von der Polizei angehalten und befragt. Er kann sich in seiner eigenen Nachbarschaft nicht frei bewegen.
Als wir die Straße verlassen passiert ein junger israelischer Siedler die Polizeisperre ohne einen Ausweis vorzeigen zu müssen oder befragt zu werden. Zugleich werden lokale und internationale Journalist*innen daran gehindert, die Straße zu betreten. Ihre Schatten sind links im Bild zu sehen.
Wir nähern uns der friedlichen Demonstration. Die aktuell hohe mediale Präsenz erweckt den Eindruck, die Demonstrationen wären eine Reaktion auf jüngste Ereignisse. Doch sie finden bereits seit über einen Jahrzehnt regelmäßig statt.
Jeden Freitagnachmittag sehen wir eine handvoll jüdischer Israelis und Palästinenser*innen mit Schildern wie „No to Occupation“ oder „Stop illegal Settlements in Sheikh Jarrah“. Heute sind es nicht nur ein paar wenige Demonstrant*innen, sondern hunderte Menschen, die ihre Solidarität mit den von Vertreibung bedrohten palästinensischen Familien zum Ausdruck bringen. Als wir die Demonstration erreichen, fährt der Bus 274 vorbei. Diese Buslinie führt zum Checkpoint zwischen Jerusalem und dem Westjordanland.
Viele israelische Demonstrant*innen kommen, um ihre Solidarität zu zeigen. Auf dem Bild hält ein Mann ein Schild mit der Aufschrift: „Jüdische und arabische Männer weigern sich, Feinde zu sein“.
Ein palästinensischer Bewohner Sheikh Jarrahs (links), der wie dutzend andere fürchtet aus seinem Haus vertrieben zu werden, und ein jüdischer Aktivist (rechts) stehen nebeneinander und tauschen Neuigkeiten aus. Es wirkt, als würden sie sich schon lange kennen. Der israelische Aktivist trägt ein Schild mit der hebräischen Aufschrift „Sheikh Jarrah ist für die Palästinenser“.
An vorderster Front der Proteste steht eine Gruppe Frauen. Sie tragen Warnwesten mit der Aufschrift „Mutter“ in verschiedenen Sprachen.
Eine Gruppe junger palästinensischer Notfallsanitäter umarmt einander in der Nähe der Demonstration.
Eine Demonstrantin hält ein selbstgemaltes Plakat mit der Aufschrift „Nein zu Polizeigewalt“ nach oben.
Wir erreichen das Herz des Protestes. Eine Gruppe Jugendlicher sitzt auf einer Barriere aus Beton – diese Barrieren lassen sich überall in Ostjerusalem finden und werden von der israelischen Armee bei Ausschreitungen benutzt. Eli hebt ihre Hand und und zeigt den Jungs das Peace-Zeichen, der Jüngste macht es ihr nach.
Dieses Plakat ist bei den Protesten wohl am häufigsten zu sehen. Es wurde von der forumZFD-Partnerorganisation „Standing together“ entwickelt, einer arabisch-jüdischen Bewegung. Es trägt die Aufschrift „Gegen die Besatzung“.
Währenddessen machen lokale und internationale Reporter*innen Aufnahmen. In einer kurzen Pause gesellen sie sich zur einer Gruppe von Kindern und schauen einem Clown zu, der die Kinder von der Gewalteskalation in den vergangenen Tagen ablenken möchte.
Die Demonstrationen in Sheikh Jarrah sind sehr bunt und durchmischt. Ob Kippas, Kopftücher, bunte Haare, Kinder, Ältere, jüdische Israelis, palästinensische Jerusalemer*innen, man findet die unterschiedlichsten Menschen auf den Demos. Vielleicht glauben sie an verschiedene Dinge und sind sich in politischen Fragen uneinig. Aber beim „Nein zur Besatzung“ sind sie sich alle einig.
Das forumZFD steht solidarisch mit den Familien in Sheikh Jarrah, die in ständiger Angst leben, aus ihren Häusern vertrieben zu werden. Nur mit dem Ende der Besatzung können wir ein Ende des Leidens, des Konflikts und der Ungerechtigkeit erreichen.