Es ist Regenzeit in Battambang, auf einmal zieht sich der Himmel zu, und es fängt an zu schütten. Das Team des forumZFD und die buddhistischen Mönche der Universität Battambang unterbrechen schnell die Vorbereitungen für ein Fest am morgigen Tag, die provisorische Überdachung auf dem Hof hält dem Regen kaum stand. Auch der junge Dozent Tola Phumchhon macht sich einige Sorgen: „Am morgigen Samstag ist ja Weltfriedenstag, und ich hoffe sehr, dass wir das ganze Programm nicht auf den Flur verlegen müssen, das wäre schade.“ Phumchhon trägt das orange Gewand der Mönche, was ihn nicht daran hindert, beim Aufbau der Tische und Stühle anzupacken, ehe er noch einmal überprüft, ob alles gut vorbereitet ist. „Ich habe für unsere Veranstaltung auch ein Lied komponiert, das müssen wir heute Abend ein letztes Mal proben“, sagt der 33-Jährige enthusiastisch. Ebenso schnell, wie er gekommen ist, hört der starke Regen auch wieder auf. So kommt Hoffnung auf, dass das Wetter doch noch einigermaßen mitspielt.
Vom Reisbauer zum Mönch
Der Großteil der kambodschanischen Bevölkerung ist sehr jung. Sovecha Vy, der Rektor der Universität und dementsprechend eine respektierte Autoritätsfigur, ist erst 40 Jahre alt. Er wurde 1979 geboren, jenem Jahr, als die vietnamesischen Truppen einmarschierten und den Diktator Pol Pot stürzten. Darauf folgten zwei chaotische Dekaden, in denen praktisch alle Institutionen einer modernen Gesellschaft, einschließlich der Schulen, neu erfunden werden mussten.
Bereits mit 14 wurde Sovecha Vy, achter Sohn einer Familie von Reisbauern, zum Mönch. „Heute herrscht hierzulande kein Krieg mehr, doch das bedeutet nicht, dass wir auch einen stabilen, inneren Frieden erreicht haben“, stellt der junge Rektor fest. Er selbst engagiert sich seit mehr als zehn Jahren bei der internationalen Kampagne für ein weltweites Verbot von Landminen. „Es gibt aber auch hierzulande noch viel zu tun. Der buddhistischen Lehre zufolge gilt Ignoranz als eine der Hauptursachen von Konflikten. Das halte ich für einen sehr aktuellen Glaubenssatz, denn nur mit einer guten Bildung können wir auf Dauer ein friedliches Miteinander und eine Gesellschaft gestalten, die bessere Chancen anbietet.“ Gerade weil ihm diese Ideen so wichtig sind, entschied sich der Rektor vor einigen Jahren für eine längerfristige Zusammenarbeit mit dem forumZFD. Die Organisation hilft der Universität dabei, neue Kurse über die Grundlagen der Konfliktanalyse und der gewaltfreien Kommunikation zu entwickeln. Diese Inhalte sollen in die Lehrpläne integriert und damit an die Studierenden weitergegeben werden. Im Moment arbeitet man am zweiten Kursbuch. Dozenten wie Tola Phumchhon erhalten im Rahmen dieses Projekts eine Weiterbildung.
Weltfriedenstag in Battambang
Früh am nächsten Morgen versammeln sich fast 200 Menschen auf dem Hof vor der prächtigen Pagode, um den Weltfriedenstag zu feiern. Sie haben Glück: Die Sonne scheint herrlich, und es ist nicht allzu heiß. Eine Künstlerin bastelt schon an einer Installation, die die Erde und die Einheit der Menschheit darstellen soll. Der Gouverneur der Stadt eröffnet die Veranstaltung gemeinsam mit Vertretern verschiedener religiöser Gemeinden mit einer Zeremonie. Anschließend werden die Studentinnen und Studenten gebeten, sich Gedanken über die Bedeutung von Frieden in ihrem konkreten Kontext zu machen. Während dieser Reflexionsrunde fallen oft Begriffe wie „interkultureller Dialog“.
Das mag für westeuropäische Ohren selbstverständlich klingen, gilt aber im kambodschanischen Kontext als neu. Seit 1991 öffnete sich das Land zwar formell für die Welt, doch damals verfügte die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung kaum über die Ressourcen, um von der Reisefreiheit Gebrauch zu machen. Mittlerweile kann sich die junge, besser ausgebildete Mittelschicht ab und zu einen kurzen Urlaub in den Nachbarländern leisten, und in den Großstädten reichen mitunter auch die Englischkenntnisse aus, um einen Austausch mit den ausländischen Besucherinnen und Besuchern zu wagen. Die einheimische Gesellschaft bleibt allerdings viel homogener als beispielsweise im heutigen Europa.
„Es ist mir ganz wichtig, immer Präsenz zu zeigen und den Dialog zu suchen“, meint Enrique Figaredo, der katholische Bischof von Battambang, der bei der Veranstaltung dabei ist und exzellente Beziehungen mit der Buddhistischen Universität pflegt. Das Bistum von „Vater Kike“, wie sie ihn hier nennen, zählt eigentlich nur ein paar Tausend Menschen. Er engagiert sich jedoch insbesondere für einen fairen Zugang zu Ressourcen für alle Einwohnerinnen und Einwohner, unabhängig von ihrer Religion oder dem Stadtteil, in dem sie wohnen. Kurz vor der Mittagspause pflanzt er zusammen mit den anderen Gästen mehrere Bäume auf dem Hof. „Umweltschutz ist heutzutage eine wesentliche Bedingung für die Vorbeugung von Konflikten“, führt der Geistliche fort. „Wie wollen wir friedlich zusammenleben, wenn wir die materiellen Grundlagen unserer Existenz einfach zerstören?“
Frieden und Umweltschutz gehören zusammen
„In diesem Jahr beschäftigen wir uns bei unserer Veranstaltung zum Weltfriedenstag vor allem mit Umweltschutz, weil das gerade in Kambodscha ein sehr relevantes Thema ist“, erklärt auch Chandara Phann, Projektmitarbeiter des Battambang- Büros des forumZFD. Tatsächlich bringt die schnelle Entwicklung des Landes in den letzten Jahren immer größere Herausforderungen mit sich: Die Anzahl der Autos wächst rasant, Plastikmüll verunreinigt die Gewässer und gefährdet den Lebensraum der zahlreichen Fischarten, die nach wie vor eine sehr wichtige Rolle für die Ernährung der Bevölkerung spielen. Der Raum für unberührte Natur wird kleiner infolge von Abholzung und schneller Bebauung.
Noch ist es hierzulande nicht zu spät, diese Trends umzukehren, ohne dafür auf Entwicklung verzichten zu müssen. Denn das Potenzial des Landes ist enorm und bleibt weitgehend noch ungenutzt. Es liegt etwa nahe, dass saubere Flüsse und intakte Wälder mehr Touristen anziehen würden. So könnten zugleich Konflikte um knappe Ressourcen vermieden werden. Diese komplexen Zusammenhänge versteht die junge Sreypow Bet besser, nachdem sie sich an diesem Vormittag eine kurze Präsentation zum Thema „plastikfreies Kambodscha“ angehört hat. „Ich finde es gut, wenn wir uns bewusst machen, dass die Natur um uns herum auch unseren Kindern und Enkeln gehört“, sagt die 20-Jährige, die an der hiesigen Universität Englisch studiert. „Tun wir das nicht, dann werden sie nämlich die Probleme bekommen, die wir heute verursachen.“
Gegen 15 Uhr sammeln sich wieder schwarze Wolken am Himmel, ehe das Friedenslied von Dozent Phumchhon angestimmt wird kann. „Jetzt müssen wir aber schnell sein“, beschließt der junge Mann. Das Team des forumZFD bereitet sich auf den Plan B vor. Es fängt an zu schütten und die frisch gebastelten Kunstinstallationen müssen in Sicherheit gebracht werden. Nur die alten Statuen der Militärführer bleiben draußen im Regen, während sich die jungen Menschen für die Schlussworte dieses Weltfriedenstages im großen Vorlesungsraum versammeln.
Kambodscha – junges Land mit schwierigem Erbe
Die gewaltigen Auseinandersetzungen zwischen den Roten Khmer und den Regierungskräften endeten 1999 mit der Kapitulation der meisten Anhänger der berüchtigten totalitären Miliz. Seitdem herrscht in Kambodscha kein Krieg mehr, und das Land entwickelt sich rasch.
Den jüngsten Schätzungen zufolge wuchs auch die Bevölkerungszahl auf aktuell rund 16,5 Millionen. Ungefähr die Hälfte davon sind junge Menschen unter 22, die weder die Schreckensherrschaft der Roten Khmer noch den anschließenden Militärkonflikt erlebt haben.
Nach der Hauptstadt Phnom Penh (ca. 2 Millionen Einwohner) ist Battambang mit einer Bevölkerung von gut 200.000 die zweitgrößte Stadt Kambodschas. Fast 95 Prozent der Kambodschaner geben an, der Tradition des Theravada-Buddhismus anzugehören. Außerdem gibt es muslimische und christliche Minderheiten (zwei bzw. ein Prozent) sowie weitere, noch kleinere religiöse Gruppen.
International bekannt ist das Land vor allem durch die prächtigen Tempel von Angkor, die um 1200, während der Blütezeit des alten Königreichs, errichtet wurden. Zwischen 1867 und 1953 war Kambodscha ein Teil der französischen Kolonie Indochina. Nach der Unabhängigkeit folgte eine kurze, liberalere Modernisierungsphase, die allerdings spätestens 1975 mit der Machtübernahme Pol Pots ein abruptes Ende nahm. Eine tolerante Kultur des offenen und rationalen gesellschaftlichen Dialogs steckt nach der Ausrottung der Bildungselite durch die Roten Khmer noch in den Kinderschuhen, und auch vorher war sie nur bedingt vorhanden. Dabei wäre sie sehr wünschenswert, um politische und soziale Probleme zu lösen und um den mühsam erzielten Frieden zu konsolidieren.